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Entscheidung über Corona-Impfung eines 16-Jährigen
Entscheidung über Corona-Impfung eines 16-Jährigen
Die ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts (STIKO) hatte sich in ihrem Epidemiologischen Bulletin vom 10.06.2021 dafür ausgesprochen, dass Kinder und Jugendliche mit Vorerkrankungen sich aufgrund eines anzunehmenden erhöhten Risikos für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung einer Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty (BioNTech/Pfizer) unterziehen sollten. Zu den berücksichtigungswürdigen Vorerkrankungen zählten danach u. a. Adipositas, angeborene oder erworbene Immundefizienz oder relevante Immunsuppression, angeborene zyanotische Herzfehler und chronische Lungenerkrankungen.
In ihrer Mitteilung vom 16.08.2021 aktualisiert die STIKO ihre COVID-19- Impfempfehlung und spricht nunmehr eine Impfempfehlung für alle 12-17-Jährigen aus. Die STIKO begründet diese neue Impfempfehlung mit neuen Überwachungsdaten, insbesondere aus dem amerikanischen Impfprogramm mit nahezu 10 Millionen geimpften Kindern und Jugendlichen. Mögliche Risiken der Impfung für diese Altersgruppe könnten- so die STIKO weiter- jetzt zuverlässiger und quantifizierter beurteilt werden. Die zuvor beobachteten Herzmuskelentzündungen hätten unter entsprechender medizinischer Versorgung einen unkomplizierten Verlauf; umgekehrt träten Herzbeteiligungen durchaus auch bei COVID-19-Erkrankungen auf. Hinzu komme, dass aufgrund der dominierenden Delta-Variante für Kinder und Jugendliche ein höheres Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion in einer 4. Infektionswelle bestehe. Nach derzeitigem Wissensstand überwiegen daher die Vorteile der Impfung gegenüber dem Risiko von sehr seltenen Impfnebenwirkungen.
Was aber gilt, wenn ein Jugendlicher der vorgenannten Altersgruppe sich der Empfehlung der STIKO entsprechend impfen lassen möchte, einer der beiden sorgeberechtigten Eltern hiermit jedoch nicht einverstanden ist?
Mit einem solchen Fall hatte sich das Oberlandesgericht Frankfurt zu befassen. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die geschiedenen Eltern üben gemeinsam das Sorgerecht für ihren im Jahr 2005 geborenen Sohn aus. Sie streiten darüber, ob ihr Sohn gegen das Corona-Virus geimpft werden soll. Der Sohn lebt überwiegend bei der Mutter, welche mit der Impfung nicht einverstanden ist. Vater und Sohn dagegen befürwortet die Impfung.
Der Vater stellte einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutz beim zuständigen Amtsgericht/Familiengericht. Den Antrag stützte er auf § 1628 BGB. Danach kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils, wenn Eltern in einer einzelnen Angelegenheit der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, sich nicht einigen können, die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen ist generell eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung. Weitere Beispiele für Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung sind der Schulwechsel, die Wahl des Vornamens oder medizinische Eingriffe (mit Ausnahme von Notfällen).
Der Vater begründete seinen Antrag zum einen damit, dass bei seinem Sohn aufgrund der bestehenden Adipositas eine eindeutige medizinische Indikation für eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff bestehe, um einen schwerwiegenden Verlauf einer COVID-19 Erkrankung zu vermeiden. Sein Sohn sei mit seinen 16 Jahren darüber hinaus selbst voll entscheidungsfähig und könne die Tragweite einer solchen Erkrankung sowie die Risiken einer Impfung überblicken und möchte gleichwohl geimpft werden.
Die Mutter sprach sich mit den Argumenten, eine Herdenimmunität sei in der Gesellschaft annähernd eingetreten und eine Impfung mit dem Impfstoff von Biontech Pfizer sei nicht nützlich, weil diese nicht gegen alle Varianten des Virus, insbesondere die sog. Delta-Variante, wirksam sei, weiterhin gegen die Impfung ihres Sohnes aus.
Bei der Beurteilung, auf welchen Elternteil die Entscheidungsbefugnis zu übertragen ist, orientiert sich das Gericht am Kindeswohl. Dies ergibt sich aus § 1697 a BGB. Die Entscheidungskompetenz ist danach dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.
Für den hier zu entscheidenden Fall der Übertragung der Entscheidungsbefugnis für Schutzimpfungen ist inzwischen in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Entscheidungsbefugnis auf den Elternteil übertragen wird, der sich an den Empfehlungen der STIKO orientiert. Die Impfempfehlungen der STIKO sind als medizinischer Standard anerkannt.
In seiner persönlichen Anhörung bekräftigte der betroffene 16-Jährige vor Gericht, dass er geimpft werden möchte. Zur Begründung führte er aus, er wolle sich und seine Eltern schützen; seine Eltern seien aufgrund ihres Bluthochdrucks Risikopatienten. Zudem wolle er, sollte es zu einem erneuten Lockdown kommen, ohne Test einkaufen und zum Frisör gehen. Schließlich wisse er auch von anderen Jugendlichen, dass es mögliche Nebenwirkungen wie Fieber, Glieder- und Kopfschmerzen als Folge der Impfung gäbe.
Das Amtsgericht übertrug mit Beschluss vom 22.06.2021 die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Zustimmung zu einer Corona-Schutzimpfung im Hinblick auf die Empfehlungen der STIKO auf den Kindesvater.
Gegen die Entscheidung legte die Kindesmutter Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt ein. Mit Beschluss vom 17.08.2021 wies das Oberlandesgericht die Beschwerde als unbegründet zurück.
Das Oberlandesgericht wies zunächst darauf hin, dass es bei einem nicht geringfügigen medizinischen Eingriff- wie der noch nicht als Standard-Impfung geltenden Impfung gegen das Corona-Virus- es zur Wirksamkeit der Einwilligung eines minderjährigen Patienten auch der Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern bedürfe. Sodann bestätigte das Oberlandesgericht, dass die Entscheidungsbefugnis bei Uneinigkeit der Eltern, ob ihr minderjähriges Kind geimpft werden soll, demjenigen Elternteil allein zu übertragen ist, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der STIKO befürwortet.
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