Arbeitsrecht
Zeitarbeitsfirmen müssen Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen
Die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung spielt im Wirtschaftsleben seit Jahren eine gravierende Rolle. Für viele Arbeitnehmer gehört es mittlerweile zum beruflichen Alltag, bei regelmäßig wechselnden Entleihunternehmen beschäftigt zu sein. In der Vergangenheit kam es dabei häufig zu Fällen, in denen Leiharbeitnehmer Seite an Seite mit Angestellten arbeiteten, jedoch ein erheblich geringeres Gehalt erzielten. Um diesem unbefriedigenden Zustand ein Ende zu setzen, hat der Gesetzgeber durch § 9 Nr. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) den Grundsatz der Lohngleichheit eingeführt. Hiernach sind solche Vereinbarungen unwirksam, die für den Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere Arbeitsbedingungen vorsehen, als sie bei Entleihunternehmen für eigene vergleichbare Mitarbeiter gelten. Dies gilt ausdrücklich auch für Regelungen zum Entgelt.
Angesichts der mit dem Grundsatz der Lohngleichheit verbundenen wirtschaftlichen Belastungen suchten Teile der Arbeitgeberseite bereits vor dem Inkrafttreten der Regelung eine Möglichkeit, von diesem Grundsatz abweichend auch künftig geringere Löhne zu zahlen, als in den Entleihunternehmen üblich. Eine solche Möglichkeit ergab sich aus dem Gesetz selbst. So sieht § 9 Nr. 2 AÜG ausdrücklich Ausnahmen vom Grundsatz der Lohngleichheit vor: Es können abweichende Regelungen durch Tarifvertrag vereinbart werden. Auch können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Geltung tarifvertraglicher Regelungen einzelvertraglich vereinbaren. Ein “Tarifpartner” war schnell gefunden in der Gestalt der “Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen (CGZP)”. Mit dieser wurde bereits im Jahre 2003 ein Flächentarifvertrag abgeschlossen, dem weitere Tarifverträge, auch Firmentarifverträge, folgten.
Sämtlichen Tarifverträgen war gemein, dass die Bedingungen sehr arbeitnehmerunfreundlich ausfielen, da sie zum Beispiel kurze Kündigungs- und Ausschlussfristen aufwiesen, insbesondere aber nur geringe Löhne vorsahen. Folge war, dass in vielen Betrieben der Zeitarbeitsbranche abweichend vom Grundsatz der Lohngleichheit weiterhin Leiharbeitnehmer geringere Löhne enthielten als vergleichbare Arbeitnehmer des Entleihbetriebes.
Diese Praxis geriet naturgemäß in die Kritik, da eine Umgehung der gesetzlichen Regelung offensichtlich war. Ein Ansatzpunkt für die Kritik war die Frage, ob es sich bei der CGZP überhaupt um eine Gewerkschaft im Rechtssinne handelte, die wirksame Tarifverträge abschließen konnte. Tatsächlich sprachen verschiedene Arbeitsgerichte im Laufe des Jahres 2008 der CGZP die Tariffähigkeit ab. Zur Begründung wurde insbesondere darauf verwiesen, der CGZP fehle die für eine Gewerkschaft erforderliche “soziale Mächtigkeit”. Eine Gewerkschaft müsse, so die Arbeitsgerichte, in der Lage sein, der Arbeitgeberseite notfalls durch Druck tarifvertragliche Zugeständnisse abzutrotzen. Dies wurde der CGZP unter anderem unter Verweis auf die einseitige Gestaltung der Tarifverträge abgesprochen. Erstmals im Dezember 2010 entschied das Bundesarbeitsgericht über die Frage der Tariffähigkeit und sprach diese der CGZP gleichfalls ab. Abweichend von den Instanzgerichten begründete das BAG dies aber ausschließlich formaljuristisch mit einem Fehler bei der Gründung der CGZP (Beschluss vom 14.12.2010, AZ: 1 ABR 19/10).
Im Weiteren Verlauf stellte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Jahre 2011 über die vorgenannte Entscheidung des BAG hinaus fest, dass die CGZP bereits seit ihrer Gründung nicht tariffähig gewesen sei und Tarifverträge nicht wirksam abschließen konnte (Beschluss vom 09.01.2012, AZ: 24 TA BV 1285/11). Aufgrund einer Entscheidung des BAG vom 23.05.2012 (AZ: 1 ABN 27/12) ist der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg rechtskräftig, so dass davon ausgegangen werden kann, dass alle mit der CGZP abgeschlossenen Tarifverträge unwirksam sind und waren. Auch eine einzelvertragliche Inbezugnahme der Tarifverträge war deshalb nicht möglich. Folge war wiederum, dass betroffene Leiharbeitnehmer durchaus Ansprüche auf Zahlung rückständigen Entgelts gegen den Leiharbeitgeber geltend machen konnten. Der Höhe nach errechnete sich der Anspruch aus der Differenz zwischen dem tatsächlich gezahlten Lohn und dem Entgelt, das ein vergleichbarer Arbeitnehmer bei dem Entleiher erzielt hatte. Noch weitreichendere finanzielle Folgen für die beteiligten Unternehmen der Zeitarbeitsbranche ergaben sich daraus, dass die Träger der Sozialversicherung gestützt auf die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte im Nachhinein von den Zeitarbeitsfirmen, die mit der CGZP unwirksame Tarifverträge vereinbart hatten, höhere Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert haben. Der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge wurde hierbei nach Überprüfung der Betriebe, die jeweils in den Entleihbetrieben gezahlten höheren Entgelte zugrunde gelegt. In diesem Zusammenhang ist eine aktuelle Entscheidung des Sozialgerichts Berlin vom 09.07.2015 von Bedeutung, die sich unter anderem mit dem Zeitraum beschäftigt, über den die Sozialversicherungsbeiträge nachberechnet werden können (AZ: S 143 KR 1920/12). In dem zugrundeliegenden Fall waren von der Deutschen Rentenversicherung mit Bescheid vom Februar 2012 für den Zeitraum Dezember 2005 bis Dezember 2009 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 25.000,00 € nachberechnet worden. Das Sozialgericht Berlin hat entschieden, dass aufgrund der Gestaltung der zugrundeliegenden Tarifverträge mit der CGZP das von der Arbeitgeberin vorgetragene Vertrauen auf die Wirksamkeit des Tarifvertrages nicht schutzwürdig sei. Das Sozialgericht hat anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles angenommen, die Arbeitgeberin habe in Kauf genommen, dass der Tarifvertrag unwirksam sein könnte und ihn dennoch angewandt, um höhere Löhne und höhere Sozialversicherungsbeiträge einzusparen. Gravierende Folge dieses Umstands war, dass sich die Verjährungsfrist für Beitragsnachforderungen von 4 auf 30 Jahre verlängerte.
Diese Entscheidung zeigt deutlich, dass Betriebe – die an Tarifverträgen mit der CGZP beteiligt waren oder diese einzelvertraglich vereinbart haben – auch weiterhin das erhebliche Risiko tragen, Nachforderungen ausgesetzt zu werden. In derartigen Fall kann fachanwaltliche Beratung nur dringend empfohlen werden.
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