Arbeitsrecht
Vorsicht bei Online-Krankschreibungen
Jeder Arbeitnehmer, der wegen gesundheitlicher Beschwerden nicht zur Arbeit erscheinen kann, muss – sofern individuell im Arbeitsvertrag nichts anderes vereinbart wurde – spätestens nach dem dritten Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) vorlegen.
Die Corona-Pandemie hat das Problem der überfüllten Arztpraxen und überlasteten Mediziner massiv verstärkt. Aus diesem Grunde war es durchaus möglich, eine telefonische Krankschreibung für bis zu sieben Tage bei leichten Atemwegserkrankungen vorzulegen. Auch Krankschreibungen per Videosprechstunde waren durch eine Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Es gibt bzw. gab sogar Start-ups, die beispielsweise eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Videochat für nur 1,00 Euro anbieten. Wer tatsächlich ein Gespräch führen möchte, bekommt den gelben Schein danach für 14,00 Euro. Die Frage, die sich dem objektiven Betrachter allerdings stellt, ist die, ob solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen juristisch einwandfrei und vom Arbeitgeber anerkannt werden müssen.
Wer sicher gehen will, sollte stets seinen Hausarzt aufsuchen. Als Fachmann kann er ohne Weiteres eine wirksame und rechtlich anerkannte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen, die auch von den Richtern im Normalfall nur in äußersten Ausnahmefällen angezweifelt wird. Damit ein Attest als Nachweis für eine Krankheit arbeitsrechtlich von Wert ist und insbesondere den Anforderungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes genügt, muss es allerdings das Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung sein. Dem gegenüber erachten die Arbeitsgerichte eine Krankschreibung ohne direkten Arztkontakt für wenig beweiskräftig. So hat das Arbeitsgericht Berlin – Az: 42 Ca 16289/20 – in einem aktuellen Fall entschieden, dass eine Online-Krankschreibung ohne persönlichen oder telefonischen Arztkontakt nicht die Voraussetzungen für eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfüllt. Danach darf ein Arbeitgeber in dem Fall den Anspruch auf Entgeltfortzahlung verweigern. In dem zu entscheidenden Fall hatte ein Sicherheitsmitarbeiter ohne persönlichen und telefonischen Kontakt dem Arbeitgeber eine AU vorgelegt. Der Arbeitnehmer musste lediglich einige Fragen zu seiner Krankheit online beantworten. Der Arbeitgeber lehnte daraufhin die Entgeltfortzahlung ab. Der Arbeitnehmer klagte daraufhin und machte geltend, dass er aufgrund der Corona-Pandemie einen Besuch in der Arztpraxis vermeiden wollte. Das Arbeitsgericht Berlin führt in der Entscheidung aus, dass der Arbeitgeber nicht zur Entgeltzahlung verpflichtet ist, da der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit nicht beweissicher nachgewiesen habe. Die vorgelegte Online-Krankschreibung war aus Sicht des Gerichts nicht geeignet, eine Arbeitsunfähigkeit zu beweisen. Für eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne der BAG-Rechtsprechung fehle es vorliegend an einer ärztlichen Untersuchung des Arbeitnehmers, so das Arbeitsgericht Berlin. Weder habe ein Arzt mit dem Arbeitnehmer ein persönliches oder telefonisches Gespräch geführt, noch wurde der Arbeitnehmer persönlich untersucht. Eine für das erkennende Gericht notwendige Patientenbeziehung war danach überhaupt nicht vorhanden.
Daran änderten nach Auffassung der Berliner Richter auch die neuen Bestimmungen aufgrund der Corona-Pandemie nichts, denn die Möglichkeit der telefonischen Anamnese sei eine Maßnahme, um das Risiko in einer Ausnahmesituation wie der Covid-19-Pandemie zu vermindern.
Damit werde deutlich, dass selbst in einer solchen Ausnahmesituation zumindest ein telefonischer Kontakt zwischen Arzt und Patient erforderlich sei, um überhaupt eine richtige Diagnose stellen zu können.
Folglich ist bei Online-Portalen, die mit Versprechen wie „99 % unserer Patienten erhalten ihre Wunsch-AU” oder einen gelben Schein ganz ohne einen Arztbesuch werben, besondere Vorsicht geboten. Eine AU von einem Arzt, der für ein Unternehmen arbeitet, dessen primärer Geschäftszweck darin liegt, Arbeitnehmer krank zu schreiben, kann zurecht Fragen und äußerste Bedenken aufwerfen. Dabei ist festzustellen, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ohne Online-Untersuchung und ohne Videochat in der Regel als wertlos angesehen werden können. Jeder Arbeitnehmer der krank ist und sich arbeitsunfähig fühlt, sollte den Arzt seines Vertrauens aufsuchen. Der Fachmann wird beweissicher feststellen, dass auch tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit von bestimmter Dauer vorliegt. Auch kann der Patient in dem Fall sicher sein, dass seine Daten geschützt sind.
Abschließend sei noch der Hinweis erlaubt, dass die von dem gemeinsamen Bundesausschuss beschlossene telefonische Krankschreibung bei Erkältungssymptomen eigentlich nur bis Ende Dezember 2021 möglich sein sollte. Nunmehr hat man die Regelung verlängert bis Ende März 2022. Selbst bei dieser Sonderregelung müssen sich die niedergelassenen Ärzte allerdings persönlich vom Zustand der Patienten durch eine eingehende telefonische Beratung überzeugen. Auch eine Krankschreibung wegen Erkältungssymptomen ist zeitlich begrenzt auf 7 Tage.
Zukünftig wird es ohnehin die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geben. Pilotprojekte werden schon durchgeführt. Der gelbe Schein gehört dann der Vergangenheit an. Gleiches dürfte dann auch für Online-Krankschreibungen und entsprechende Geschäftsmodelle gelten.
Comments are closed