Erbrecht
Die EU-Erbrechtsverordnung
Mag man an der europäischen Union auch einiges auszusetzen haben, so hat sie doch unbestreitbare Vorzüge. Zu diesen gehört zweifelsfrei die Freiheit des Personenverkehrs, die es u. a. an einem Deutschen ohne Weiteres gestattet, seinen Wohnsitz in der Toskana oder auf Mallorca zu nehmen und umgekehrt ein italienischer Staatsbürger keine Probleme hat, seinen Wohnsitz nach Deutschland zu verlegen. Zumindest soweit es die Berechtigung zum Aufenthalt angeht, besteht keine Notwendigkeit, auch die Staatsangehörigkeit des jeweiligen Wohnsitzstaates anzunehmen. Zu unerwarteten erbrechtlichen Problemen kann es kommen, wenn ein Erbfall eintritt und der Erblasser nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Ein Beispiel: Ein italienischer Staatsbürger ist bereits vor 40 Jahren nach Deutschland gezogen. Er heiratet eine deutsche Staatsbürgerin; beide bekommen Kinder, die ebenfalls die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Obwohl in diesem Fall kaum ein Bezug zum Geburtsland des Erblassers besteht, hat das deutsche Nachlassgericht italienisches Erbrecht zu beachten und anzuwenden! Der Grund hierfür findet sich in Artikel 25 EGBGB, wonach sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem Recht des Staates richtet, dem der Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalles angehört. Vergleichbare Regelungen finden sich auch zum Beispiel in der italienischen oder spanischen Rechtsordnung, die ebenfalls an die Staatsangehörigkeit anknüpfen. Folge ist, dass auch ein Deutscher, der schon lange Jahre auf Mallorca lebt, nach deutschem Erbrecht beerbt wird. Hat der Erblasser nicht in einem Testament oder einem Erbvertrag von der sowohl in der deutschen als auch in anderen europäischen Rechtsordnungen vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine sogenannte Rechtswahl zu treffen und anzuordnen, dass im Erbfall die Rechtsordnung des Wohnsitzstaates gelten soll, können die Erben vor unerwarteten Problemen stehen, da insbesondere die Regelungen zu der gesetzlichen Erbfolge teilweise gravierend voneinander abweichen.
Eine grundlegende Änderung der vorstehend geschilderten Rechtslage bringt die EU-Erbrechtsverordnung mit sich, die für Erbfälle ab dem 17.08.2015 gilt. Abweichend vom Staatsangehörigkeitsprinzip gilt für Erbfälle ab diesem Tage, dass die Rechtsordnung des Staates gilt, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Eine gesetzliche Definition des Begriffs “gewöhnliche Aufenthalt” enthält die Verordnung nicht. Dieser wird vielmehr anhand objektiver Kriterien zu bestimmen sein. Zu diesem gehören etwa die Dauer des Aufenthaltes, das Vorhanden sein familiärer oder sozialer Bedingungen, ein fester Arbeitsplatz oder Vermögensgegenstände im Wohnsitzstaat.
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Zur Veranschaulichung kann folgendes Beispiel dienen: Im wohlverdienten Ruhestand verlegt ein deutsches Ehepaar – dass kein Testament verfasst hat – den gewöhnlichen Aufenthalt nach Mallorca. Anders als bisher gilt im Erbfall nunmehr nicht mehr deutsches Erbrecht sondern ausschließlich spanisches Erbrecht. Die EU-Erbrechtsverordnung sieht jedoch auch vor, dass derartigen Überraschungen durch eine Rechtswahl begegnet werden kann. Durch Verfügung von Todes wegen kann daher bestimmt werden das im Erbfall, dass Recht des Staates gelten soll, dem der Erblasser im Zeitpunkt der Rechtswahl oder bei seinem Tode angehört. Die nach deutschem Recht bisher bestehende Möglichkeit, die Rechtswahl nur auf bestimmte Gegenstände zu beschränken, etwa auf im Inland belegene Grundstücke, sieht die EU-Erbrechtsverordnung jedoch nicht mehr vor. Es kann nur noch der gesamte Nachlass einer Rechtsordnung unterstellt werden. Zu beachten ist jedoch, dass eine bereits getroffene Rechtswahl insoweit wirksam bleibt.
Abschließend ist noch anzumerken, dass die vorstehenden Ausführungen für die zahlreichen Mitbürger türkischer Staatsangehörigkeit keine Veränderung mit sich bringen.
Für diese gilt weiterhin das bereits aus dem Jahr 1929 stammende deutsch-türkische Nachlassabkommen. Angesichts der Komplexität der Rechtslage kann letztendlich nur eine ausführliche erbrechtliche Beratung empfohlen werden.
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