Arbeitsrecht, Sozialrecht
Aktuelle Rechtsprechung zu Unfällen auf dem Weg zur oder von der Arbeitsstätte
Die gesetzliche Unfallversicherung sorgt dafür, dass Arbeitnehmer für gewöhnliche Unfälle versichert sind, die am Arbeitsplatz oder allgemein während der betrieblichen Tätigkeit geschehen. Diese Arbeitnehmer sind in vollem Umfang abgesichert. Anders sieht es aus bei dem sogenannten Wegeunfall. Mit der Frage, ob ein Wegeunfall auch ein Arbeitsunfall ist, mussten sich in letzter Zeit vermehrt Sozialgerichte beschäftigen. Das Thüringer Landessozialgericht hat in einer Entscheidung vom 08.01.2018 – L 1 U 900/17 – nunmehr entschieden, dass nur der direkte Weg von der Arbeitsstätte zur Wohnung und umgekehrt unter den Schutz der gesetzlichen Wegeunfallversicherung fällt. Um- und Abwege dagegen nicht. In dem zugrundeliegenden Fall verpasste eine Arbeitnehmerin auf dem Rückweg von der Arbeit kommend den Ausstieg aus einer Bahn. Sie musste deshalb zur nächsten Haltestelle weiterfahren. Beim Verlassen des Zuges und dem Überqueren der Bahngleise – um zum gegenüberliegenden Gleis zu gelangen – wurde sie tödlich von einer Rangierlok erfasst. Die zuständige Berufsgenossenschaft verneinte daraufhin einen Arbeitsunfall. Diese Rechtsauffassung wurde durch das Sozialgericht Gotha bestätigt. Die Klage der Hinterbliebenen wurde abgewiesen.
Die hiergegen eingelegte Berufung blieb erfolglos. Das Landessozialgericht wies in der Begründung darauf hin, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer nicht auf direkten Weg in Richtung seiner Arbeitsstätte oder seiner Wohnung, sondern entgegengesetzter Richtung von diesem Ziel kommt, so befinde er sich auf einem Abweg. Erst wenn der Arbeitnehmer sich wieder auf dem direkten Weg befinde, mithin der Abweg beendet ist, lebe danach der Versicherungsschutz wieder auf. Anders wäre sicherlich der Fall zu beurteilen gewesen, wenn Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass vorliegend Ausnahmetatbestände vorgelegen haben. Unter bestimmten Umständen kann auch ein Umweg inbegriffen sein, beispielsweise wenn Kinder noch in eine Betreuungseinrichtung gefahren oder abgeholt werden, wenn Arbeitnehmer mit Fahrgemeinschaften zum Arbeitsort kommen oder wenn z.B. verkehrsbedingt auf Umleitungen zugegriffen werden muss, beispielsweise bei Baustellen oder Staus. In solchen Fällen sind die Arbeits- bzw. Wegeunfälle selbstverständlich versichert.
In einem anderen Fall hatte das Bundessozialgericht (BSG) zu prüfen, ob ein Arbeitnehmer dann abgesichert ist, wenn er vor Fahrtantritt zur Arbeit prüft, ob die Fahrbahn glatt sei. In dem Streitfall hatte ein Arbeitnehmer die Prüfung veranlasst und sich auf dem Rückweg zu seinem Auto verletzt. In der Entscheidung des BSG vom 23.01.2018 – B 2 U 3/16 R – sah das Gericht den unmittelbaren und damit versicherten Weg zur Arbeitsstätte bereits in dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem der Arbeitnehmer die Straße betreten habe. Wenn der Arbeitnehmer auf diese Art und Weise die Fahrbahnverhältnisse prüft, so sei dies nur eine Vorbereitungshandlung zum versicherten Arbeitsweg. Derartige Vorbereitungshandlungen seien allerdings nur dann versichert, wenn entweder eine rechtliche Pflicht bestehe, eine solche Handlung vorzunehmen, oder wenn die Handlung zur Beseitigung eines unvorhergesehenen Hindernisses erforderlich sei, um den Arbeitsweg aufzunehmen bzw. fortzusetzen. Keine dieser Alternativen wurden vorliegend erfüllt. Selbst wenn der Arbeitnehmer die Prüfung für sinnvoll oder erforderlich angesehen habe, so sei diese – so das BSG – weder durch die StVO geboten, noch für den Antritt der Fahrt unverzichtbar gewesen.
Wichtig ist bei all diesen Entscheidungen, dass der Arbeitnehmer Um- und Abwege vermeiden sollte, selbst wenn beispielsweise der Supermarkt oder Bäcker auf dem direkten Arbeitsweg liegt. Grundsätzlich beginnt und endet der Schutz an der Außentür des Wohngebäudes.
Sollte es zu einem Umweg kommen, ist stets anhand des Einzelfalles zu prüfen, ob der Umweg gerechtfertigt gewesen war. Bejahendenfalls ist der Arbeitnehmer unfallversichert. Der Wegeunfall ist dann zeitnah zu melden bei der Berufsgenossenschaft seitens des Arbeitgebers oder des behandelnden Arztes innerhalb von spätestens drei Tagen nach Kenntnisnahme. Die Berufsgenossenschaft übernimmt dann die Behandlungs- und Rehabilitationskosten in vollem Umfang.
Trotz der zwischenzeitlich ergangenen Gerichtsurteile kann es immer zu einem Fall kommen, bei dem die Grenzen nicht eindeutig zu definieren sind. Stets ist der Einzelfall zu analysieren. Im Zweifelsfall ist es immer ratsam, sich an einen Fachanwalt für Arbeitsrecht zu wenden. Dieser kann den Einzelfall analysieren und eine kompetente Einschätzung abgeben.
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