Familienrecht
Unterhaltsrecht: Coronabedingter Einkommensrückgang bei Selbständigen
Unterhaltstitel werden grundsätzlich für die Zukunft geschaffen. Sie sollen langfristige Regelungen enthalten und den Beteiligten dadurch Planungssicherheit verschaffen. Die Abänderung eines Unterhaltstitels ist nur im Ausnahmefall und nur dann möglich, sofern sich eine unvorhersehbare, wesentliche Änderung ergeben hat.
Aus praktischen Erwägungen, um ständige Neuberechnungen zu vermeiden, erfolgt die Unterhaltsberechnung bei angestellt Beschäftigten nach dem sich aus den letzten zwölf Abrechnungen ergebenden Durchschnitt (Jahresdurchschnitt). Das durchschnittliche Einkommen aus der Vergangenheit bildet somit die Basis für die Berechnung des laufenden und zukünftigen Unterhalts. Basisgedanke dabei ist: unvermeidbare Einkommensschwankungen einschließlich Sonderzahlungen nivellieren sich über einen längeren Zeitraum bzw. über das Jahr gesehen.
Bei selbständig Erwerbstätigen dagegen ist das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen aufgrund eines Dreijahresdurchschnitts zu ermitteln. Dies aus dem Grund, da angenommen wird, dass in guten Jahren Rücklagen gebildet werden, aus denen der Unterhalt in schlechteren Jahren gezahlt werden kann. Der selbständig tätige Unterhaltsschuldner ist verpflichtet, Gewinnschwankungen einzukalkulieren und Rücklagen zu bilden. Eine kurzfristige Minderung der Leistungsfähigkeit ist unbeachtlich, wenn sie vorhersehbar war.
In beiden Fällen basieren die Unterhaltsberechnungen, die, wie dargestellt, auf die Zukunft ausgerichtet sind, auf der Prognose, dass es bei gleichen Einkommensverhältnissen bleibt. Diese auf Daten aus der Vergangenheit beruhende Prognose ist heute in vielen Fällen aufgrund der einschneidenden Zäsur durch Corona nicht mehr zutreffend. Anstatt auf einen Durchschnittswert aus der Vergangenheit zurückzugreifen, muss auf coronabedingte Einkommensrückgänge zeitgleich bzw. monatsweise reagiert werden.
Mit einem solchen Fall hatte sich das Amtsgericht Pankow/Weißensee in seinem Beschluss vom 08.12.2020, Az. 13 F6681/18 zu befassen. Es ging um die Frage, wie das unterhaltsrelevante Einkommen eines selbständig Erwerbstätigen im Gastronomiegewerbe zu bestimmen ist, wenn dessen bisherige Einkünfte coronabedingt erheblich gesunken sind. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Antragsteller war mit Beschluss vom 11.01.2019 verpflichtet, Trennungsunterhalt an seine getrenntlebende Ehefrau in Höhe von rd. 1.000,00 € monatlich zu zahlen. Im damaligen Verfahren gingen die Beteiligten übereinstimmend von einem durchschnittlichen Nettoeinkommen des Antragstellers in Höhe von rd. 3.000,00 € aus. Der Antragsteller ist selbständiger Gastronom und bietet die Organisation von Großveranstaltungen an.
Der Antragsteller beantragte, festzustellen, dass er seit dem 01.09.2020 keinen Unterhalt mehr an seine getrenntlebende Ehefrau zahlen muss. Zur Begründung führte er aus, dass aufgrund der Coronakrise und der damit verbundenen Einschränkungen sein Geschäft seit März 2020 vollständig zum Erliegen gekommen sei. Im ersten Halbjahr 2020 hätte er mit einer seiner beiden Firmen insgesamt knapp 3.000,00 € erwirtschaftet, mit seiner weiteren Firma hätte er einen Verlust von knapp 25.000,00 € erlitten. Ferner trug er vor, dass seine Ersparnisse nun aufgebraucht seien. Die Aufgabe seiner selbständigen Tätigkeit und der Wechsel in ein Angestelltenverhältnis seien für ihn mit seinen bereits 60 Jahren nicht mehr möglich.
Die Antragsgegnerin beantragte, den Antrag zurückzuweisen. Sie war der Ansicht, das Einkommen des Antragsgegners sei nicht aus den Ergebnissen einer Halbjahresrechnung zu ermitteln, sondern, wie bei Selbständigen üblich, aus dem Durchschnitt der letzten drei Jahre.
Das Amtsgericht Pankow/Weißensee gab dem Antragsteller recht und stellte fest, dass der Antragsteller seit dem 01.09.2020 nicht mehr verpflichtet ist, Trennungsunterhalt an seine getrenntlebende Ehefrau zu zahlen.
Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass ein Unterhaltstitel gem. § 238 FamFG abgeändert werden könne, sofern eine wesentliche, nicht vorhersehbare Änderung der der damaligen Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen eingetreten sei. Der Antragsteller habe hinreichend an Eides statt versichernd dargelegt, dass er zurzeit zur Zahlung von Trennungsunterhalt nicht leistungsfähig sei. Der Antragsgegner habe im ersten Halbjahr 2020 nur Verluste erwirtschaftet, dies stelle eine wesentliche Änderung der Tatsachen i.S.d. § 238 FamFG dar. Kurzfristige Minderungen der Leistungsfähigkeit, so das Amtsgericht Pankow/Weißensee weiter, seien unbeachtlich, wenn sie vorhersehbar sind und für ihre Dauer Vorsorge getroffen werden kann. Das sei bei der Pandemie und speziell in der Branche des Antragsgegners, die von der Corona-Pandemie besonders betroffen sei, gerade nicht der Fall. Das Amtsgericht führte ferner aus, dass für ein paar Monate der Einschränkungen die Leistungsfähigkeit des Antragstellers unter Anrechnung der staatlichen Hilfen noch vollständig anzunehmen wäre. Die Schließung von Restaurants und das Verbot von großen Veranstaltungen dauerten auch Ende des Jahres 2020 nach kurzfristigen Unterbrechungen an. Die Gastronomiebranche, insbesondere der Bereich des Caterings und der Großveranstaltungen liege brach. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung und unter Berücksichtigung eines bisherigen unterhaltsrelevanten Einkommens auf Seiten des Antragstellers von rd. 3.000,00 € sei es diesem kaum möglich gewesen, die Rücklagen zu bilden, die ihm sowohl das Bestreiten des eigenen als auch des Lebensunterhalts der Antragsgegnerin jetzt ermöglichen würden.
Die Entscheidung zeigt, dass angesichts der bestehenden Ungewissheit zur Dauer der krisenbedingten Einkommensausfälle das Durchschnittseinkommen der letzten drei Jahre nicht im Sinne einer künftig maßgeblichen Prognose ohne weiteres fortgeschrieben werden kann. Bei der Beurteilung, unter welchen Voraussetzungen Unterhaltstitel abgeändert werden können bzw. welche Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse wesentlich und unvorhersehbar sind, ist fachanwaltliche Beratung unerlässlich.
Comments are closed