Familienrecht
Unterhalt und Patchworkfamilie – die „Hausmannrechtsprechung“ des BGH
Bei einer Trennung der Eltern ist der barunterhaltspflichtige Elternteil, also derjenige, in dessen Obhut das minderjährige Kind nicht lebt, grundsätzlich vollschichtig erwerbsverpflichtet. Das bedeutet, der barunterhaltspflichtige Elternteil muss alle zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfen und die Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit besonders intensiv führen. Er muss auch Gelegenheitsarbeiten oder berufsfremde Tätigkeiten unterhalb der gewohnten Lebensstellung übernehmen. Die Anforderungen an das, was dem barunterhaltspflichtigen Elternteil zuzumuten ist, sind umso höher, je mehr es um die Deckung des Mindestunterhalts geht. Reicht das Einkommen aus einer vollschichtigen Tätigkeit nicht aus, kann im Einzelfall verlangt werden, dass der barunterhaltspflichtige Elternteil zusätzlich einer Nebentätigkeit von bis zu 8 Wochenstunden nachgeht.
Was aber gilt, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil wieder heiratet und mit seinem Ehepartner und dessen Kindern oder gemeinsamen Kindern zusammenlebt? Was gilt insbesondere für den Fall, dass der barunterhaltspflichtige Elternteil einer Berufstätigkeit nicht nachgeht, sondern in der zweiten Ehe die Betreuung der Kinder aus dieser Ehe übernommen hat? Wie ist der Fall einzustufen, dass der barunterhaltspflichtige Elternteil in ausreichendem Umfang arbeitet, aber kein ausreichendes Einkommen erzielt, um den Mindestunterhalt des Kindes aus der früheren Beziehung zahlen zu können?
Die entscheidende Frage ist: Muss das minderjährige Kind aus der früheren Beziehung die gewählte innerfamiliäre Rollenverteilung in der neuen Ehe aus unterhaltsrechtlicher Sicht hinnehmen?
Das OLG Koblenz hatte sich in seinem Beschluss vom 08.03.2021, Az. 7 UF 613/20 mit einem solchen Fall zu befassen. In dem dortigen Fall war die barunterhaltspflichtige Mutter neu verheiratet und lebte mit ihrem Ehemann und zwei gemeinsamen Kindern in einem Einfamilienhaus. Sie bezog zunächst Mutterschaftsgeld, welches ihrem ursprünglichen Nettoeinkommen entsprach. Seit dem Ende des gesetzlichen Mutterschutzes übt sie eine Tätigkeit im Umfang von 15 Wochenstunden aus mit einem Nettoeinkommen von knapp 900,00 €. Ergänzend erhält sie Elterngeld plus. Die Kindesmutter war der Meinung, sie sei aufgrund ihrer derzeitigen familiären Situation nicht leistungsfähig, um ihrem Sohn aus der früheren Beziehung, der bei seinem Vater lebt, weiterhin den Mindestunterhalt zu zahlen.
Der BGH hat zu diesen Fällen seine sog. „Hausmannrechtsprechung“ entwickelt. Danach können Eheleute ihre Rollen in der neuen Ehe grundsätzlich frei wählen. Allerdings darf sich dies nicht zulasten Dritter, insbesondere zu Lasten minderjähriger Kinder aus einer früheren Beziehung auswirken. Wenn in der neuen Beziehung ein betreuungsbedürftiges Kind geboren ist, ändert dies im Grundsatz nichts daran, dass die Unterhaltsansprüche der minderjährigen Kinder aus früheren Beziehungen gleichrangig sind. Der Unterhaltspflichtige muss seine Arbeitskraft zum Unterhalt aller Kinder bestmöglich einsetzen. Dies gilt auch, wenn die Mutter barunterhaltspflichtig ist und in ihrer neuen Familie die Kindererziehung übernommen hat. Sie wird daher unter solchen Umständen im allgemeinen wenigstens eine Nebentätigkeit im Umfang einer geringfügigen Beschäftigung aufnehmen müssen, um weiterhin zum Unterhalt eines Kindes aus einer früheren Beziehung beitragen zu können. Der zweite Ehemann ist im Rahmen der ehelichen Solidarität gehalten, ihr durch Teilübernahme der Pflegeaufgaben die für die Erwerbstätigkeit erforderliche Zeit zu verschaffen.
Hier könnte eingewendet werden, das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils aus einer geringfügigen Beschäftigung liege unter der Grenze des eigenen Selbstbehalts. Der BGH führt hierzu aus, dass der Eigenbedarf des barunterhaltspflichtigen Elternteils durch den Anspruch auf Familienunterhalt (§ 1360 BGB) gegen den erwerbstätigen Ehegatten gedeckt ist, so dass der Verdienst aus der geringfügigen Beschäftigung für den Unterhalt des Kindes aus der früheren Beziehung verwendet werden kann.
Ausgehend von diesen Vorgaben des BGH entschied das OLG Koblenz in seinem Beschluss, dass die in dem dortigen Fall gewählte Kombination aus 2-jähriger Elternzeit in Verbindung mit einer Teilzeittätigkeit im Umfang von 15 Wochenstunden nicht zu beanstanden sei. Die Kindesmutter setze so ihre Arbeitskraft im Interesse aller Kinder bestmöglich ein. Wenn das jüngste Kind mit 1 Jahr einen Anspruch auf einen Kita-Platz habe, könne der Kindesmutter ab diesem Zeitpunkt eine Ausweitung ihrer Erwerbstätigkeit angesonnen werden. Die mit der ausgeübten Teilzeittätigkeit beim bisherigen Arbeitgeber einhergehende Belastung entspreche im zeitlichen Umfang einer geringfügigen Beschäftigung, sei aber deutlich besser vergütet. Das OLG Koblenz entschied, dass die Kindesmutter, auch obwohl sie sich in Elternzeit befindet und nur eine geringfügige Beschäftigung ausübt, gleichwohl leistungsfähig war, um ihrem minderjährigen Sohn aus einer früheren Beziehung den Mindestunterhalt zu zahlen.
Ob der barunterhaltspflichtige Elternteil sich in der neuen Ehe auf die Kinderbetreuung zurückziehen darf und ob er ggf. gleichwohl zur Zahlung von Unterhalt für ein minderjähriges Kind aus einer früheren Beziehung herangezogen werden kann, beurteilt sich stets nach der Frage, ob es hierfür einen unterhaltsrechtlich relevanten Grund gibt. Sowohl dem unterhaltsberechtigten minderjährigen Kind, vertreten durch den betreuenden Elternteil,
als auch dem barunterhaltspflichtigen Elternteil ist in diesen Patchwork-Konstellationen dringend anzuraten, sich im Hinblick auf den Unterhaltsanspruch fachanwaltlich beraten zu lassen.
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