Familienrecht
Unterhalt und das „faule“ minderjährige Kind
Verwandte in gerader Linie, also alle Personen, die voneinander abstammen, sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren (§ 1601 BGB). Die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern umfasst gem. § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Die Unterhaltspflicht endet mit Abschluss der ersten Ausbildung des Kindes, wobei es bei der Gestaltung (z. B. Abitur-Lehre-Studium) besondere Verläufe geben kann. Die Eltern bleiben beispielsweise auch bei einer gestuften Ausbildung unterhaltspflichtig, vorausgesetzt, die Ausbildungsabschnitte befinden sich in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang (Beispiel: Bauzeichner und Architekturstudium).
§ 1603 Abs. 2 BGB bestimmt, dass die Eltern ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet sind, alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zum Unterhalt einzusetzen. Konkret sind die Eltern im Rahmen dieser gesteigerten Erwerbsobliegenheit gegenüber ihren minderjährigen Kindern verpflichtet, alle zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten auszuschöpfen und die Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit besonders intensiv zu führen, auch Gelegenheitsarbeiten oder berufsfremde Tätigkeiten unterhalb der gewohnten Lebensstellung anzunehmen.
Welche Pflichten treffen aber auf der anderen Seite die minderjährigen Kinder? Nicht immer entwickeln sich Kinder zielstrebig in die Richtung einer eigenen Berufstätigkeit und durchlaufen ordnungsgemäß die dazu erforderlichen Ausbildungsstufen. Hat ein Kind, welches bis zur Volljährigkeit noch keinen Schulabschluss erreicht hat, noch einen Anspruch auf Unterhalt? Trifft dieses Kind eine Erwerbsobliegenheit mit der Folge, dass ihm ggf. fiktive Einkünfte auf seinen Unterhaltsanspruch anzurechnen sind?
Mit diesen Fragen hatte sich das Oberlandesgericht Karlsruhe in seinem Beschluss vom 21.01.2019, Az. 2 WF 2/19 zu befassen. Folgender Sachverhalt lag zugrunde:
Das minderjährige Kind hatte erhebliche Fehlzeiten in der Schule; es hat beispielsweise über einen Zeitraum von drei Monaten ohne plausiblen Grund überhaupt nicht am Unterricht teilgenommen. Ohne Schulabschluss war das minderjährige Kind von der Hauptschule abgegangen, es unterlag nicht mehr der Schulpflicht. Anschließend hat es keine Ausbildung begonnen und stellte nun gegen seinen Vater beim Familiengericht einen Antrag auf Unterhalt und Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Unterhaltsverfahren. Das Amtsgericht lehnte den Verfahrenskostenhilfeantrag ab. Gegen den ablehnenden Beschluss legte das minderjährige Kind Beschwerde zum OLG Karlsruhe ein.
Das OLG Karlsruhe hob den ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts auf, bewilligte dem minderjährigen Kind Verfahrenskostenhilfe für den Unterhaltsantrag und verwies das Verfahren zur Entscheidung in der Sache zurück an das Amtsgericht.
In seinem Beschluss führte das OLG Karlsruhe aus, dass einem minderjährigen Kind, welches nicht mehr schulpflichtig sei, eine Erwerbsobliegenheit auferlegt werden könne mit der Folge, dass der Minderjährige sich fiktive Einkünfte auf seinen Unterhaltsanspruch anrechnen lassen muss. Das OLG bezog sich auf § 1602 Abs. 1 BGB, wonach unterhaltsberechtigt nur derjenige sei, der außer Stande sei, sich selbst zu unterhalten. Ein minderjähriges Kind, das nicht mehr schulpflichtig ist und sich auch nicht in einer Ausbildung befindet, sei trotz seiner Minderjährigkeit verpflichtet, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Dies setze wiederum voraus, dass die Arbeitsaufnahme mit dem Jugendarbeitsschutzgesetz vereinbar sei und keine gesundheitlichen Gründe einer Arbeitsaufnahme entgegenstehen.
Das OLG führte ferner aus, dass die Unterhaltsplicht gegenüber minderjährigen Kindern Ausfluss der familieninternen Solidarität sei. Dies sei jedoch keine Einbahnstraße, sondern stehe in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners auf Finanzierung einer angemessenen, der Begabung, Neigung und dem Leistungswillen des Kindes entsprechenden Berufsausbildung auf der einen Seite stehe auf Seiten des Unterhaltsberechtigten die Obliegenheit gegenüber, die Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Auch Kinder müssten die notwendigen und ihnen persönlich zumutbaren Schritte unternehmen, im Laufe der Jahre wirtschaftlich auf eigene Beine zu kommen. Andernfalls seien ihnen ihrem Alter entsprechende erzielbare hypothetische Einkünfte anzurechnen.
Entsprechendes gelte, wenn ein Jugendlicher seine Ausbildung aus eigenem Antrieb abbricht, kurz vor der Volljährigkeit steht und keine Bemühungen darlegt, seinen Unterhaltsbedarf selbst zu decken. Einem 16 Jahre alten Kind könne zumindest eine Teilerwerbstätigkeit von zehn Stunden pro Woche zugemutet werden. Erst recht sei das volljährige Kind, das sich nicht in einer Ausbildung befindet, wie jeder Erwachsene, für sich selbst verantwortlich.
Die Entscheidung zeigt, dass hartnäckige Schulverweigerer nicht damit rechnen können, dass sie ihre Eltern ohne Schwierigkeiten auf Unterhalt in Anspruch nehmen können, solange sie im Gerichtsverfahren keine besonderen Umstände vorbringen und ggf. nachweisen können, die ihnen die Aufnahme einer zumindest teilschichtigen Erwerbstätigkeit unzumutbar machen.
Unterhaltszahlenden Eltern ist anzuraten, sich in regelmäßigen Abständen einen Eindruck über den Stand der Ausbildung des unterhaltsberechtigten Kindes zu machen, und die Vorlage von Zeugnissen o.ä. über den bisherigen Verlauf der Ausbildung/des Studiums zu verlangen. Eltern haben einen Anspruch auf Auskunft. Entspricht das Leistungsbild den lehrplanmäßigen Studienveranstaltungen nicht oder bestehen zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten größere Lücken, entfällt der Unterhaltsanspruch. Bei Zweifeln darüber, ob das Kind die Ausbildung zielstrebig verfolgt, ist fachanwaltliche Beratung unerlässlich. Die Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung ist, wie gezeigt, kein Selbstläufer.
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