Familienrecht
Umzug bei gemeinsamem Sorgerecht- darf ich das?
Bei gemeinsamer elterlicher Sorge müssen die Eltern in den wesentlichen Belangen das Kind betreffend (Pflege/Erziehung, Lebensmittelpunkt, Ausbildung/Berufswahl, ärztliche Maßnahmen) Einigkeit erzielen. Darf ein Elternteil ohne die Zustimmung des anderen mit den Kindern umziehen?
Mit einem solchen Fall hatte sich das Oberlandesgericht Stuttgart in seiner Entscheidung vom 10.02.2023, Az. 15 UF 267/22 zu befassen. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beteiligten waren die Eltern einer 4-jährigen Tochter und eines knapp 2-jährigen Sohnes und lebten zusammen in Süddeutschland. Die Tochter besuchte den örtlichen Kindergarten, der Sohn wurde noch gestillt und war mit der Mutter zu Hause. Nach einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen den Eltern zog die Kindesmutter mit den gemeinsamen Kindern in ein Frauenhaus im Norden Deutschlands.
Eine Zustimmung des Kindesvaters lag nicht vor.
Der Kindesvater beantragte beim zuständigen Amtsgericht, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung für die beiden Kinder zu übertragen. Er begründete seinen Antrag damit, durch die eigenmächtige Verlagerung des Aufenthalts der Kinder läge eine nachteilige Kindeswohlgefährdung vor, weil gerade die ältere Tochter ihre sozialen Kontakte verloren habe. Durch den Umzug sei darüber hinaus jeglicher Kontakt zwischen ihm und den Kindern abrupt beendet worden. Die Beziehung zu seiner Tochter sei sehr intensiv. Er habe sich auch nachts um die Tochter gekümmert und sie in der Regel auch ins Bett gebracht, während die Kindesmutter sich um den jüngeren Sohn gekümmert habe.
Die Kindesmutter rechtfertigte ihren Umzug mit dem Argument, beim Kindesvater gebe es für sie und die Kinder keine Sicherheit für Leib und Leben. Der Kindesvater habe sie mehrfach mit dem Tod bedroht und mit der Wegnahme der Kinder gedroht. Er neige zu Wutausbrüchen und impulsivem Verhalten. Sie sei die Hauptbetreuungsperson für die Kinder.
Das Amtsgericht übertrug der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder. Der Wegzug der Kindesmutter sei vor dem Hintergrund der geschilderten Bedrohung nachvollziehbar. Eine Einschränkung der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter sei nicht erkennbar, nachdem diese sich in der mündlichen Verhandlung bereit erklärt habe, in die Nähe des Kindesvaters in ein Frauenhaus zu ziehen, um die Umgangskontakte zu erleichtern.
Der Kindesvater legte gegen den Beschluss des Amtsgerichts Beschwerde ein. Das OLG stellte zunächst allgemein klar, dass die vorzunehmende Abwägung, wem von beiden Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder übertragen werde, sich nicht an einer Sanktion eines etwaigen Fehlverhaltens der Kindesmutter, sondern vorrangig am Kindeswohl orientiert. Eine eigenmächtige Trennung des Kindes vom anderen Elternteil (sog. „ertrotzte“ Kontinuität) könne nicht als solche, sondern nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie Rückschlüsse auf eine konkrete Einschränkung der Erziehungsfähigkeit zulässt oder konkret festgestellt werden kann, dass der herbeigeführte Ortswechsel aktuell das Wohl der Kinder beeinträchtigt.
Das OLG führte ferner aus, dass eine ggf. widerrechtliche Kindesentführung innerhalb Deutschlands nicht einen automatischen Rückführungsmechanismus zur Folge hätte, vielmehr habe eine Einzelfallabwägung anhand der sorgerechtlichen Kriterien
- Erziehungseignung der Eltern
- Bindungen des Kindes
- Prinzip der Förderung und Kontinuität
- Kindeswille
zu erfolgen. Einem Umzug des betreuenden Elternteils stehe nicht ohne Weiteres die gesetzliche Regelung in § 1626 Abs. 3 BGB entgegen, wonach zum Wohl des Kindes in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen gehört. Ähnliches gelte für das sich aus § 1684 Abs. 2 BGB ergebende Wohlverhaltensgebot, wonach die Eltern alles zu unterlassen haben, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. Auch hieraus ergebe sich nicht notwendig eine Sperrwirkung für solche Ortsveränderungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Umgangskontakte führen.
Auf den konkreten Fall bezogen stellte das OLG fest, dass, sofern ausschließlich auf die Tochter abzustellen wäre, unter Berücksichtigung der sozialen Kontinuität und der Bindung zum Kindesvater eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf diesen in Betracht käme. Dies könne dagegen für den knapp 2jährigen Sohn nicht gelten, da dieser als Noch-Stillkind auf die weitgehende Versorgung der Kindesmutter angewiesen sei. Eine Trennung der Geschwister, die sich noch ein einem sehr jungen Alter und einer sensiblen Entwicklungsphase befänden, käme überdies nicht in Betracht. Geschwister könnten sich gerade in Trennungsfällen gegenseitig stützen, weshalb den Kindern ein Maximum des bisherigen Beziehungsgeflechts erhalten bleiben müsse.
Das OLG sah die Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter trotz des Wegzugs mit den Kindern aus dem bisherigen Umfeld ohne vorherige gerichtliche Klärung nicht als so weit eingeschränkt an, dass eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sie nicht zu verantworten sei.
In Umzugsfällen ist immer anhand einer Würdigung der gesamten Umstände des konkreten Einzelfalls zu prüfen, ob eine einseitige Veränderung des Aufenthalts der Kinder hinzunehmen ist. Vorherige anwaltliche Beratung ist dringend zu empfehlen. In der Regel wird bei Kindern, die bereits durch beide Eltern hinlänglich betreut worden sind und die eine stabile Beziehung zu jedem Elternteil aufweisen, insbesondere nicht mehr zwingend auf die persönliche Betreuung durch einen Elternteil angewiesen sind, ein Aufenthalt beim verbringenden Elternteil nicht in Betracht kommen.
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