Allgemein, Familienrecht
Probleme der Versorgungsehe
Anders als noch in früheren Zeiten gehört es zur heutigen Lebenswelt, dass Paare auf Dauer ohne Trauschein zusammenleben. Nicht selten kann hierbei eine Entwicklung eintreten, die zu erheblichen wirtschaftlichen Problemen führen kann, wenn einer der Partner verstirbt. So hatte im Oktober 2016 das Sozialgericht Stuttgart über folgenden Fall zu entscheiden:
Bereits im Jahre 2002 lernte sich ein Paar kennen und führte seitdem eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Im Jahre 2010 wurde bei dem Mann eine Krebserkrankung festgestellt. Die anschließende Therapie zeigte nicht den erhofften Erfolg. Im Mai 2011 wurden Knochenmetastasen festgestellt; im September 2011 heiratete das Paar. Im Februar 2012 verstarb schließlich der Ehemann. Nach seinem Tode beantragte die Ehefrau die Gewährung einer Witwenrente. Auf den ersten Blick etwas überraschend lehnte der Rentenversicherungsträger die Bewilligung der Witwenrente ab. Die Ehefrau erhob sodann gegen den ablehnenden Bescheid Klage beim Sozialgericht Stuttgart. Wie mag das Gericht in dieser Angelegenheit entschieden haben?
In § 46 SGB VI ist geregelt, unter welchen Voraussetzungen ein überlebender Ehegatte einen Anspruch auf Zahlung einer Witwen- oder Witwerrente hat. Das Gesetz unterscheidet hierbei zwischen der sogenannten kleinen und der großen Witwenrente. Voraussetzung für die Gewährung der kleinen Witwenrente ist lediglich, dass der versicherte verstorbene Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch auf die kleine Witwenrente besteht allerdings längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.
Die große Witwenrente wird hingegen unbefristet geleistet. Voraussetzung ist neben der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit, das ein eigenes oder ein Kind des versicherten Ehegatten, welches das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erzogen wird. Hierneben kann die große Witwenrente beansprucht werden, wenn der überlebende Ehegatte bereits das 47. Lebensjahr vollendet hat oder eine Erwerbsminderung besteht. Eine Ausnahme ist in § 46 Abs. 2a SGB VI geregelt. Hiernach haben Witwer oder Witwen keinen Anspruch auf Zahlung der Rente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Als Schlagwort für derartige Fälle hat sich der Begriff der Versorgungsehe herausgebildet. Die vorgenannte Regelung begründet damit zunächst einmal eine gesetzliche Vermutung, die jedoch widerlegt werden kann.
Eindeutig ist die Rechtslage, wenn ein Ehegatte innerhalb der Jahresfrist an den Folgen eines Unfalls verstirbt. Hier spricht nichts dafür, dass Motiv der Eheschließung die Begründung der Versorgung gewesen ist. Liegen die übrigen Voraussetzungen vor, wird die Rente gewährt.
In anderen Fällen ist objektiv zu überprüfen, welche Beweggründe der Eheschließung zugrunde lagen. Für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung ist es ausreichend, dass neben dem Versorgungsgedanken auch andere objektiv nachvollziehbare Motive für die Eheschließung vorliegen, die dem Versorgungsgedanken zumindest gleichwertig sind. Ist im Zeitpunkt der Eheschließung bereits bekannt, dass einer der Ehegatten unter einer Krankheit leidet, so ist zu prüfen, ob zu diesem Zeitpunkt bereits abzusehen war, dass die Erkrankung in absehbarer Zeit zum Tode führen würde. In einem Rechtsstreit lässt sich dies oftmals nur durch die Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens klären.
Wie aber hat das Sozialgericht Stuttgart in dem eingangs geschilderten Fall entschieden? Tatsächlich hat das Gericht mit Urteil vom 20.10.2016 (Akt.-Z. S 17 R 2259/14) die Klage der überlebenden Ehefrau auf Zahlung der Rente abgewiesen. In der Begründung der Entscheidung ist das Gericht davon ausgegangen, dass es der Ehefrau nicht gelungen sei, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Unstreitig habe der verstorbene Ehemann bereits im Zeitpunkt der Eheschließung aufgrund der dokumentierten Metastasierung an einer lebensbedrohlichen Erkrankung gelitten. Nach dem Behandlungsverlauf und dem tatsächlichen gesundheitlichen Zustand des Ehemanns sei in diesem Zeitpunkt bereits mit einem baldigen Ableben zu rechnen gewesen. Soweit die klagende Ehefrau vorgetragen hatte, es habe noch Hoffnung auf eine eventuelle Heilung oder einen sehr langwierigen Krankheitsverlauf gegeben, sei diese Hoffnung objektiv nicht gerechtfertigt gewesen und habe nicht ausgereicht, die Vermutung der Versorgungsabsicht zu widerlegen.
Als Motiv für die Eheschließung könne zwar auch der Umstand gesehen werden, dass die Klägerin und der verstorbene Ehemann bereits eine langjährige nichteheliche Beziehung unterhalten hatten. Diesen Umstand hat das Gericht letztlich gerade umgekehrt als Indiz dafür gesehen, dass überwiegender Zweck der Ehe gewesen sei, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen. Zur Begründung hat das Gericht angeführt, die Tatsache, dass die Eheleute vor der Eheschließung bereits über längere Zeit zusammen gelebt haben, sei als bewußte Entscheidung zu werten, gerade nicht zu heiraten, so dass die Begründung der Versorgung als im Vordergrund stehend anzusehen sei. Die Entscheidung des Sozialgerichts ist keinesfalls als Ausnahmefall anzusehen. Vielmehr wird allgemein der Umstand, dass Partner langjährig ohne Trauschein zusammenleben und erst im Zeitpunkt der Kenntnis einer Erkrankung heiraten, als wichtiges Indiz für den überwiegenden Versorgungszweck angesehen.
Die Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart zeigt einmal mehr, dass Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gut beraten sind, sich gleichzeitig um die Absicherung des jeweils anderen Partners zu kümmern. Dabei kann die Einholung anwaltlichen oder notariellen Rates sicherlich nicht schaden.
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