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Mutter haftet für autofahrendes Kleinkind
„Eltern haften für ihre Kinder!“- Dieses Hinweisschild hat sicherlich jeder schon einmal gesehen. Ein verlassenes Haus, eine große Baustelle oder ein leerstehendes Fabrikgebäude – wo Kinder Abenteuer sehen, befürchten Eigentümer Vandalismus und Sachbeschädigung.
§ 828 BGB regelt, dass ein Kind, welches das 7. Lebensjahr nicht vollendet hat, für einen Schaden, dem es einem Dritten zufügt, nicht verantwortlich ist. Im Straßenverkehr sind Kinder zwischen 7 und 10 Jahren nicht verantwortlich, solange sie den Schaden nicht vorsätzlich verursachen (§ 828 Abs. 2 BGB). Gem. § 828 Abs. 3 BGB sind Minderjährige bis zu ihrem 18. Lebensjahr nicht für einen Schaden verantwortlich, wenn ihnen bei der Begehung der schädigenden Handlung die erforderliche Einsicht fehlt.
Wenn ein Kind aufgrund der vorgenannten Regelungen nicht haftbar ist, können die Eltern wegen einer Verletzung der Aufsichtspflicht gem. § 832 BGB zur Haftung herangezogen werden. Doch was bedeutet das konkret? Wie verhält es sich mit der Haftung für den Nachwuchs tatsächlich? Mit dieser Frage hatte sich das Oberlandesgericht Oldenburg in seinem Urteil vom 20.04.2023 – Az. 14 U 212/22 – zu befassen. Folgender Sachverhalt lag zugrunde:
Die Beklagte war mit ihrem 2,5-jährigen Sohn und weiteren Personen zu Besuch bei Bekannten. Als sie gegen 17:30 Uhr aufbrechen wollte, setzte sie ihren Sohn in den Kindersitz ihres Pkws, welcher sich auf dem Beifahrersitz befand, schnallte ihn aber zunächst nicht an. Der Pkw stand in der Auffahrt der Bekannten. In der Auffahrt befanden sich zu diesem Zeitpunkt mehrere Personen. Den Fahrzeugschlüssel legte die Beklagte ins Auto auf das Armaturenbrett. Weil sie etwas vergessen hatte, ging sie noch mal ins Haus. Während der Abwesenheit seiner Mutter gelang es dem Sohn, mit dem Schlüssel den Motor des Fahrzeugs zu starten, woraufhin der Pkw einen Satz nach vorne machte und die Klägerin an den Knien traf. Diese erlitt durch den Unfall eine vollständige Ausrenkung beider Kniegelenke, eine Verletzung, welche zu den schwersten Verletzungen am Kniegelenk zählt.
Die Klägerin nahm die Beklagte wegen Verletzung der Aufsichtspflicht auf Ersatz ihrer zur Behandlung der unfallbedingten Verletzungen entstandenen Aufwendungen in Höhe von knapp 80.00,00 € vor dem Landgericht in Anspruch. Die Beklagte verteidigte sich mit den Argumenten, mit dem Verhalten ihres Sohnes sei nicht zu rechnen gewesen. Ihr Sohn habe aus dem Kindersitz klettern müssen, um an den Schlüssel zu gelangen. Im Fußraum des Pkws stehend sei ihr Sohn nicht groß genug, um den Schlüssel vom Armaturenbrett zu greifen. Sie habe das Auto nur für ca. 2-3 Minuten verlassen, neben dem Auto hätten weitere Personen gestanden, die direkten Blickkontakt zu ihrem Sohn hatten.
Gegen das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts legte die Klägerin Berufung zum OLG ein. Das OLG führte zunächst allgemein aus, dass das Maß der gebotenen Aufsicht über Minderjährige sich nach deren Alter, Eigenart und Charakter bestimme. Maßgeblich sei, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen tun müssen, um Schäden Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Kleinkinder bedürften ständiger Aufsicht. Erst ab einem Alter von 4 Jahren sei Kindern ein Freiraum zuzugestehen, allerdings nur mit regelmäßigen Kontrollen in kurzen Zeitabständen.
Die Maßnahmen, die die Kindesmutter vorliegend ergriffen hat, seien nicht ausreichend gewesen. Die Mutter habe das Kind mit dem Schlüssel im Pkw gelassen und ihm dadurch die Möglichkeit gegeben, das Fahrzeug in Bewegung zu setzen. Es stelle eine Aufsichtspflichtverletzung dar, einen Autoschlüssel gemeinsam mit einem nicht angeschnallten Kleinkind in einem Auto zu lassen und diese Situation – wenn auch nur kurzzeitig – zu verlassen. Der Sohn hätte als Kleinkind ständiger Aufsicht bedurft, die Mutter hätte ihren Sohn ständig im Blick halten müssen. Etwas anderes mag in dem überschaubaren Bereich der Wohnung gelten, da diese den Kindern bekannt ist und sie dort im freien Spiel beschäftigt sind.
Die Kindesmutter könne auch nicht damit gehört werden, sie habe nicht mit dem Verhalten des Sohnes rechnen können. Es sei allgemein und auch den erkennenden Richtern aus ihrer eigenen Erfahrung als Eltern bekannt, dass Schlüssel bzw. Schlüsselbunde auf Kleinkinder großes Anziehungspotential haben und dass Kleinkinder regelmäßig versuchen, aufgefundene Schlüssel in Schlösser zu stecken. Die Kindesmutter hätte dagegen ihrer Aufsichtspflicht genügt, wenn sie entweder das Kind im Kindersitz angeschnallt, den Schlüssel nicht in Reichweite des Kindes liegen lassen oder in ihrer Abwesenheit eine andere Person mit der Aufsicht über das Kind betraut hätte.
Wann eine Verletzung der Aufsichtspflicht vorliegt, ist stets vom Einzelfall abhängig. Dabei werden sowohl das Alter und die individuelle Reife des Kindes berücksichtigt als auch die Situation, in der der Schaden entstanden ist. Bei der Prüfung, ob ein Anspruch auf Schadenersatz besteht bzw. ob eine Verletzung der Aufsichtspflicht vorliegt, ist anwaltliche Beratung unerlässlich.
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