Allgemein
Ist der “Hygiene-Pranger” nach § 40 Abs. 1a Lebensmittel- und Futtermittelgesetz verfassungskonform?
Die zuständigen Behörden – die Ämter für Verbraucherschutz und Veterinärwesen – müssen die Öffentlichkeit über bestimmte Verstöße von Lebens- und Futtermittelunternehmen gegen das Lebensmittelgesetz informieren. Diese 2012 eingeführte Regelung, die der Öffentlichkeit unter dem Stichwort “Hygiene-Pranger” oder auch “Ekel-Pranger” bekannt geworden ist, hatte von Anfang an erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken aufgeworfen und wurde oftmals für völlig unangemessen und unverhältnismäßig angesehen. Deshalb erhob das Land Niedersachsen beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Normkontroll-Klage, über die nunmehr mit Beschluss vom 04.05.2018 befunden wurde. Das Gericht hat im Ergebnis die Regelung nur für teilweise verfassungswidrig erklärt, im Übrigen aber auch zahlreiche rechtliche Bedenken ausgeräumt. Danach sei es grundsätzlich verhältnismäßig, in öffentlicher Form im Internet über Ekel-Skandale und ihre Verursacher zu berichten. Diese Informationen seien zwar ein Eingriff in die Berufsfreiheit, allerdings wird dieser Eingriff dadurch relativiert, dass das jeweilige Unternehmen ja die Information durch eigene Rechtsverletzung selbst veranlassen würde. Bei einem bloßen Verdacht allerdings dürfe danach nur unter strengsten Voraussetzungen eine Information an die Öffentlichkeit gelangen. Dem Beschluss zu Folge gebietet es der Verbraucherschutz, dass eine Information an die Öffentlichkeit behördlicherseits dann zu erfolgen habe, wenn der hinreichend begründete Verdacht bestehe, dass durch das LFGB geregelte Höchstgehalte und Höchstmengen überschritten und dass wiederholt und in nicht unerheblichen Ausmaß gegen verbraucherschützende Vorschriften verstoßen wurde. Das BVerfG hob in der Entscheidung allerdings auch hervor, dass die besagte Vorschrift den Artikel 12 I GG insoweit verletze, als die Information der Öffentlichkeit nicht gesetzlich befristet und die Norm dadurch unverhältnismäßig sei. Schließlich dürfe die Nennung betroffener Betriebe zeitlich nicht unbegrenzt erfolgen!
Den Ausführungen des BVerfG ist zweifelsfrei zu folgen, denn amtliches Informationshandeln wirft immer wieder rechtliche Fragen auf, die im Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an Transparenz und Information der Bürger und den Rechten der Betroffenen beantwortet werden müssen. Inwiefern diese Veröffentlichungen praktisch zu einer gehaltsvollen Information taugen, hängt ohnehin in erster Linie davon ab, wie die zuständigen Behörden die Vorfälle aufbereiten und darstellen. Auch ist dahingehend Zustimmung zu erteilen, dass die zeitliche Begrenzung aufgrund der Wesentlichkeitstheorie durch Gesetz geregelt werden müsse und nicht allein durch Behördenpraxis und Rechtsprechung erfolgen darf. Zu Recht hat das BVerfG die teilweise Verfassungswidrigkeit insoweit deshalb auch festgestellt, zumal mit zunehmendem zeitlichen Abstand der Wert der Informationen sinkt und die Belastung der betroffenen Unternehmen indes steigen kann. Denn je weiter der Verstoß zeitlich entfernt ist, desto geringer ist auf der einen Seite noch der objektive Informationswert seiner Verbreitung, weil sich vom Verstoß in der Vergangenheit objektiv immer weniger auf die aktuelle Situation des betroffenen Unternehmens schließen lässt. Je länger eine für das Unternehmen negative Information in der Öffentlichkeit verbreitet wird, desto größer ist auf der anderen Seite die Unternehmensbelastung, weil immer mehr Verbraucher im Laufe der Zeit von dieser Information zu Ungunsten des Unternehmens beeinflusst werden können. Das BVerfG hat deshalb bestimmt, dass der Gesetzgeber bis zum 30.04.2019 eine Regelung zur Dauer der Veröffentlichung treffen muss. Danach ist § 40 Abs. 1a LFGB ist bis zu einer solchen Neuregelung, längstens aber bis zum 30.04.2019, anzuwenden.
Nach Veröffentlichung der Entscheidung hat das Landeswirtschaftsministerium Niedersachsen auch zeitnah entsprechende Schritte umgesetzt, damit die Namen von Herstellern und Unternehmen im Internet veröffentlicht werden, die bei Lebensmittel panschen oder es mit der Hygiene nicht so genau nehmen. Für alle Unternehmen und Betriebe im Lebensmittel- und Futtermittelbereich bedeutet dies im Klartext, dass der “Hygiene-Pranger” nach wie vor, zumindest bis zum 30.04.2019, existent ist und umgesetzt wird. Sollte es demnach anlassbezogene Vorfälle geben, ist dringend anzuraten, sofort anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dies gilt insbesondere für die Einleitung von Ordnungswidrigkeitsverfahren, zumal die Landesbehörden derzeit ein unerhebliches Ausmaß stets dann annehmen, wenn der Verstoß die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350,00 EUR zur Folge hatte. In diesen Fällen wird auch in Niedersachsen zukünftig wieder nach Anhörung des Betroffenen die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter Angabe sämtlicher Daten und des Sachverhaltes informieren mit der Folge, dass äußerst geschäftsschädigende Auswirkungen drohen können. Es macht deshalb Sinn, mit großer Sorgfalt Beanstandungen zu vermeiden. Wenn es allerdings durch anlassbezogene Kontrollen zu einem Vorfall kommt, sollten schnellstmöglich Vorkehrungen getroffen werden, die ggf. noch eine Prangerstellung vermeiden können. Wer will sich schon gerne als “schwarzes Schaf” in der Öffentlichkeit bloß stellen lassen; denn allein das Wort “Pranger” ist schon äußerst negativ besetzt. Es gilt als Synonym für einen Schandpfahl, eine öffentliche Bloßstellung, ein Preisgeben der allgemeinen Verachtung. Begrüßenswert wäre es, wenn sich behördlicherseits die Informationen auf absolute Ekel-Skandale und äußerst gravierende Verstöße beschränken würde. Ein Bußgeld in der angesprochenen Höhe trifft allerdings auch schon einen Lebensmittel-Kaufmann, bei dem Mäusekot in Lebensmitteln oder Pestizide im Tee vorgefunden werden. Bei rechtzeitiger Einschaltung eines Anwaltes sollte es gelingen, negative behördliche Veröffentlichungen zu vermeiden.
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