Allgemein
Der Europäische Gerichtshof und die Arbeitszeiterfassung
Mit einem am 14.05.2019 verkündeten Urteil hat der Europäische Gerichtshof erneut eine Entscheidung getroffen, die weitreichende Bedeutung auch für das deutsche Arbeitsrecht haben wird. Während noch im November des vergangenen Jahres ein Urteil des Gerichtshofes die bisherige Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen auf den Kopf gestellt hat, trifft es nunmehr die Frage der Arbeitszeiterfassung.
Nach den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes gilt für Beschäftigte in Deutschland, dass sie im Schnitt höchstens 48 Stunden in der Woche arbeiten dürfen. Innerhalb eines 24-Stunden-Zeitraums müssen mindestens elf zusammenhängende Stunden als Ruhezeit gewährt werden, innerhalb von sieben Tagen zusätzlich weitere 24 Stunden.
Eine umfassende Erfassung der täglichen Arbeitszeit der einzelnen Mitarbeiter war jedoch bislang nur in bestimmten Branchen üblich. So erfolgte eine genaue Erfassung der täglichen Gesamtarbeitszeit etwa in Branchen wie dem Bau-/Gaststätten- oder Transportgewerbe. Auch in der Industrie war bereits bisher eine exakte Erfassung der täglichen Gesamtarbeitszeit üblich.
Abgesehen hiervon allerdings bestand nach § 16 Abs. 2 ArbZG bislang jedoch nur die Verpflichtung des Arbeitgebers, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer – also Überstunden – aufzuzeichnen.
Auf Vorlage eines spanischen Gerichts musste der Europäische Gerichtshof sich nun mit der Frage beschäftigen, ob der Arbeitgeber vor dem Hintergrund der EU-Grundrechtecharta und der entsprechenden Arbeitszeitrichtlinie verpflichtet ist, nicht nur die über die zulässige werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen, sondern die gesamte vom Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit.
Diese Frage ist nunmehr durch den Europäischen Gerichtshof bejaht worden. Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union die Arbeitgeber durch entsprechende Änderung der Arbeitszeitgesetze dazu verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit aller Mitarbeiter exakt erfasst werden kann. Nur auf diesem Wege – so der Gerichtshof – könne der durch die Arbeitszeitrichtlinie bezweckte Gesundheitsschutz tatsächlich durch die zuständigen Behörden überprüft werden.
Der Gerichtshof hat hierzu weiter ausgeführt, dass für die Frage, ob etwa die Mindestruhezeiten oder die Höchstarbeitszeit eingehalten wird, die objektive und verlässliche Feststellung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit unerlässlich sei. Ohne ein funktionierendes System der Arbeitszeiterfassung heißt es in der Begründung, können weder die Arbeitsstunden, noch die Überstunden “objektiv und verlässlich ermittelt” werden. Für Arbeitnehmer sei es daher “äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich” ihre Rechte durchzusetzen. Die Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit gilt dabei ausdrücklich für alle Arbeitnehmer, also selbst für solche, die ihre Arbeit von ihrem Wohnsitz aus erbringen (sogenanntes Home-Office).
Soweit es die Art und Weise der Zeiterfassung angeht, hat der Gerichtshof dem nationalen Gesetzgeber keine konkreten Vorgaben gemacht, so dass die Zeiterfassung etwa mittels der altbekannten Stechuhr, aber auch einer entsprechenden App oder handschriftlich – auch durch den Arbeitnehmer – erfolgen kann.
Abzuwarten bleibt, wie schnell der nationale Gesetzgeber die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes umsetzen wird. Gerechnet wird mit einer Anpassung des Arbeitszeitgesetzes im Laufe des Jahres 2020.
Die Auswirkungen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes werden unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird die Entscheidung scharf kritisiert. So haben sich in der Arbeitswelt vermehrt flexible Arbeitszeitmodelle durchgesetzt. Auch wird in zahlreichen Betrieben auf Basis einer sogenannten Vertrauensarbeitszeit gearbeitet. Diese flexible Arbeitszeitgestaltung, die auch von vielen Arbeitnehmern geschätzt wird, könnte durch die Verpflichtung zur aktiven Zeiterfassung tatsächlich wieder nicht unerheblich eingegrenzt werden.
Andererseits hat die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof jedoch auch großen Zuspruch erfahren. So haben insbesondere die Gewerkschaften begrüßt, dass die aktive Zeiterfassung tatsächlich eine effektive Kontrolle der Höchstarbeitszeiten ermögliche und so auch der häufig anzutreffenden Praxis, den Arbeitnehmern unbezahlte Überstunden abzuverlangen, ein Riegel vorgeschoben werde. Denn die regelmäßige Überschreitung der zulässigen Arbeitszeiten könne ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen haben, was gleichfalls durch die aktive Zeiterfassung verhindert werden könne.
Abzuwarten bleibt, wie der Gesetzgeber die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes tatsächlich umsetzen wird. Zu berücksichtigen wird insbesondere sein, dass dem Gesetzgeber ein gewisser Spielraum gelassen wird, etwa im Hinblick auf eine unterschiedliche Ausgestaltung abhängig von der Betriebsgröße.
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes verdeutlicht einmal mehr, wie stark der Einfluss des Europäischen Rechts auf das nationale Recht ist und verdeutlicht insbesondere, dass besonders im Arbeitsrecht auch der Blick auf die europäischen Vorschriften nicht unterbleiben darf.
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