Allgemein
Das Wechselmodell – auch gegen den Willen eines Elternteils?
Unter dem Begriff „Wechselmodell“ wird eine Regelung zur Betreuung der gemeinsamen Kinder bezeichnet, bei der die Kinder nach der Trennung der Eltern abwechselnd in beiden Haushalten wohnen. Halten sich die Kinder nahezu hälftig beim Vater und bei der Mutter auf, liegt das sog. „paritätische Wechselmodell“ vor.
Kann das Wechselmodell aber auch gegen den Willen eines Elternteils gerichtlich angeordnet werden? Mit dieser Frage hat sich jüngst das Oberlandesgericht Dresden in seinem Beschluss vom 14.04.2022, Az. 21 UF 304/21 befasst. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Eltern eines zum Zeitpunkt des Verfahrens knapp 12-jährigen Sohnes sind und waren nicht miteinander verheiratet und üben die elterliche Sorge gemeinsam aus. Das Amtsgericht räumte mit Beschluss vom 28.04.2021 nach Anhörung der Eltern und des Kindes sowie der Bestellung eines Verfahrensbeistandes dem Kindesvater ein Umgangsrecht in Form eines paritätischen Wechselmodells ein. Der Kindesvater hatte danach das Recht, Umgang mit seinem Sohn in den geraden Wochen von Montag (Abholen aus der Schule) bis zum darauffolgenden Montagfrüh (Bringen zur Schule) auszuüben. Das Amtsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf den Kindeswillen gestützt.
Gegen den Beschluss legte die Kindesmutter Beschwerde ein. Zur Begründung führte sie aus, die Anordnung eines Wechselmodells könne nicht auf den Kindeswillen gestützt werden, da dieser durch den Kindesvater manipuliert und beeinflusst sei. Darüber hinaus fehle es an der hinreichenden Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern.
Das OLG Dresden wies die Beschwerde der Kindesmutter zurück. Es übersah dabei nicht, dass es zwischen den Eltern an der erforderlichen Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit fehlt. Auch stellte das Gericht fest, dass es den Eltern an gegenseitigem Respekt und Vertrauen fehle. Gleichwohl hielt es die Anordnung des Wechselmodells im Sinne des Kindeswohls für das „am wenigsten schädliche und damit im Vergleich beste Betreuungsmodell“. Das Gericht stützte sich u. a. darauf, dass alle für die Durchführung des Wechselmodells bedeutsamen Fragen zwischen den Eltern geklärt waren und das Wechselmodell, welches die Beteiligten seit der Bekanntgabe des Beschlusses bereits praktizierten, im Wesentlichen reibungslos funktionierte. Wesentlich war für das Gericht der vom Kind geäußerte Wille. Der gemeinsame Sohn sprach sich im Rahmen der richterlichen Anhörung mehrfach klar und eindeutig für ein Wechselmodell aus. Wörtlich äußerte er, er wolle gleich viel Zeit bei jedem Elternteil verbringen, diese Regelung gefalle ihm am besten. Der wöchentliche Wechsel von einem zum anderen Elternteil verlaufe reibungslos und auch in der Schule seien keine Probleme aufgetreten. Jugendamt und Verfahrensbeistand bestätigten die Schilderungen des Kindes. Das Gericht ging davon aus, dass der geäußerte Wille nicht auf Manipulation oder Beeinflussung beruhe, sondern seinem wirklichen Willen und der wahren Bindung zu beiden Eltern entspreche.
Das OLG Dresden orientierte sich bei seiner Entscheidung an den Vorgaben des Bundesgerichtshofs. Dieser hatte in seinem Beschluss vom 01.02.2017, Az. XII ZB 601/15 zunächst entschieden, dass grundsätzlich eine gerichtliche Umgangsregelung auch ein Umgangsrecht im Umfang eines strengen paritätischen Wechselmodells, auch ohne Konsens der Eltern, zum Inhalt haben kann. Der BGH begründete dies damit, dass das Gesetz keine Beschränkung des Umgangsrechts dahingehend enthalte, dass vom Gericht angeordnete Umgangskontakte nicht zu hälftigen Betreuungsanteilen der Eltern führen dürfen. Auch wenn ein Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes regelmäßig im Rahmen eines Verfahrens über das Aufenthaltsbestimmungsrecht und nicht eines solchen über das Umgangsrecht auszutragen sei, so der BGH weiter, spreche jedenfalls bei gemeinsamem Sorgerecht nichts gegen die Anordnung des Wechselmodells im Wege einer Umgangsregelung. Auch bei der klassischen Umgangsregelung (im 14-tägigen Rhythmus über das Wochenende) werde in das Aufenthaltsbestimmungsrecht eingegriffen.
Sodann äußerte der BGH sich zu den Voraussetzungen, unter denen auch gegen den Willen eines Elternteils das Wechselmodell gerichtlich angeordnet werden darf und stellte hier das Kindeswohl in den Mittelpunkt. Als gewichtige Kriterien des Kindeswohls führte der BGH die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens an. Dass zwischen den Eltern über die Betreuung des Kindes im Wechselmodell Konsens besteht, sei hingegen keine Voraussetzung für die Anordnung des Wechselmodells. Auch sei die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern nur ein Abwägungsgesichtspunkt, der im Einzelfall zurücktreten könne. Das Wechselmodell könne auch bei konfliktbehafteten Eltern dem Kindeswohl entsprechen, und zwar dann, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl am besten entspreche.
Zu einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung hinsichtlich des Lebensmittelpunktes der gemeinsamen Kinder nach der Trennung der Eltern sind diese, wenn sie sich, wie so oft, in einem emotionsgeladenen Trennungskonflikt befinden, häufig nicht in der Lage. Wie die o.g. Entscheidungen zeigen, ist bei allen Regelungen das Kindeswohl in den Fokus zu nehmen. Dem vom Kind geäußertem Willen kommt mit zunehmendem Alter und zunehmender Einsichtsfähigkeit vermehrt Bedeutung zu. Elternbelange treten regelmäßig dahinter zurück.
Umgangsregelungen greifen sensibel und essenziell in das Leben aller Beteiligten ein. Es empfiehlt sich, die Beratung und Unterstützung eines/einer Fachanwalts/Fachanwältin für Familienrecht in Anspruch zu nehmen, der/ die das nötige Fingerspitzengefühl mitbringt, um im Sinne des Kindeswohls tragfähige und vernünftige Lösungen mit den Eltern zu erarbeiten.
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