Allgemein
Das Bundesverfassungsgericht und das Recht auf Vergessen
Im vergangenen Mai kam es nach der Wiedereröffnung eines Restaurants in Moormerland im Landkreis Leer zu einem vermehrten Auftreten von Infektionen mit dem Corona-Virus. Sowohl regionale, als auch überregionale Medien berichteten ausgiebig über den Vorgang. Insbesondere in den regionalen Medien wurde allerdings im Anschluss daran auch über den Umstand berichtet, dass der Betreiber des Restaurants schließlich von sich aus die Lizenz zum Betrieb des Restaurants zurückgegeben hat. Wiederholt wurde in diesem Zusammenhang auch darüber berichtet, dass der Betreiber in früheren Zeiten straffällig geworden war. Gerade auch in den sozialen Medien ist hierauf die Vergangenheit des Betreibers immer wieder aufgegriffen worden. Obwohl die seinerzeit verhängte Strafe verbüßt ist, wird dieser seitdem regelmäßig wieder mit der Vergangenheit konfrontiert. Ähnlich wie diesem geht es vielen Menschen, die sich in der Vergangenheit ein Fehlverhalten haben zu Schulden kommen lassen. In vergangenen Zeiten waren Informationen in aller Regel nur als gedruckte Medien oder Rundfunksendungen zugänglich. Mit einigem zeitlichen Abstand gerieten derartige Geschehnisse immer mehr in Vergessenheit. Im Gegensatz dazu verläuft die Kommunikation und die Verbreitung von Nachrichten bereits seit Jahren immer mehr über das Internet, wobei in Online-Archiven auch nach vielen Jahren noch Informationen etwa über begangene Straftaten zugänglich sind, in denen auch heute noch entweder die Namen der Täter vollumfänglich genannt werden oder die Berichterstattung zumindest so detailliert ist, dass die Person des Täters ohne weiteres identifiziert werden kann. Wiederholt haben sich daher hiervon Betroffene gegen die Betreiber entsprechender Nachrichtenseiten oder Online-Archive dagegen zur Wehr gesetzt, dass ihre Vergangenheit auch viele Jahre nach den Geschehnissen auch weiterhin öffentlich zugänglich gemacht wird, obwohl verhängte Strafen längst verbüßt sind.
In zwei Beschlüssen vom 06.11.2019 hat sich das Bundesverfassungsgericht ausgiebig mit dem sogenannten “Recht auf Vergessen” beschäftigt (Akt.-Z. 1 BvR 276/17 und 1 BvR 16/13). Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausdrücklich entschieden, dass Personen, die von einer online archivierten Berichterstattung betroffen sind, kein absolutes Recht auf Vergessenwerden in dem Sinne zukommt, dass es Ihnen absolut freistehe, eine derartige Archivierung zu verhindern. Das Bundesverfassungsgericht betont in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass es jedem Menschen zustehe, Irrtümer und Fehler hinter sich zu lassen. Die Betroffenen müssten – so das Gericht – aus diesem Grund davor geschützt werden, dass sie sich zeitlich unbegrenzt ein früheres Fehlverhalten oder eine Straftat vor der Öffentlichkeit vorhalten lassen müssen. Gleichwohl betont das Gericht, dass es nicht der einseitigen Bestimmung der Betroffenen unterliege, welche Informationen etwa aus Online-Archiven entfernt werden müssen. So sei etwa die Begrenzung der Medien auf eine anonymisierte Berichterstattung eine erhebliche Beschränkung einerseits der Informationsmöglichkeiten der Öffentlichkeit, andererseits aber auch das Recht der Presse zu entscheiden, in welchem Umfang, über welchen Zeitraum und in welcher Form über Vorgänge berichtet werde.
Das Bundesverfassungsgericht stellt insoweit klar, dass sich in derartigen Fällen wesentliche Grundrechte gegenüber stehen, nämlich zum Einen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nach Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG und zum Anderen die Meinungs- und Pressefreiheit nach
Artikel 5 Abs. 1 GG. Um einen entsprechenden Ausgleich durchzuführen, hat das Bundesverfassungsgericht Kriterien für die Abwägung zwischen dem Schutz der Persönlichkeit und dem Schutz der Pressefreiheit entwickelt. Soweit es die aktuelle Berichterstattung betrifft, sieht das Bundesverfassungsgericht einen hohen Stellenwert bei dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und räumt diesem Informationsinteresse ausdrücklich den Vorrang ein. Das Gericht sieht diesbezüglich auch bei rechtskräftig verurteilten Straftätern Berichte als zulässig an, in denen entweder Namen genannt oder eine Identifizierung ohne weiteres möglich ist. Das Gericht stellt allerdings auch ausdrücklich klar, dass das berechtigte Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Tat abnimmt. Für die Rechtspraxis folgt daraus im Wesentlichen, dass ursprünglich rechtmäßig veröffentlichte Berichte grundsätzlich auch in entsprechende Online-Archive eingestellt werden dürfen, weiterhin also Zugriff auf entsprechende Nachrichten besteht. Die Seitenbetreiber sind erst dann gehalten, entsprechende Schutzmaßnahmen zu überprüfen, wenn sich der Betroffene an den Betreiber gewandt und seine berechtigten Interessen an einer Beschränkung der Berichterstattung näher dargelegt hat. Feste Zeiträume hierfür sind letztlich nicht festzustellen. Welche Bedeutung dem betroffenen Zeitraum seit einem Vorfall für den Schutz gegenüber einer anfänglich rechtmäßigen Veröffentlichung zukommt, ist im Wesentlichen abhängig von dem Gegenstand der Berichterstattung und der Frage, inwieweit der Betroffene heute in seinem Privatleben durch die Berichterstattung immer noch beeinträchtigt ist. Zu berücksichtigen ist hierbei auch das Verhalten des Betroffenen seit dem Vorfall bzw. der Straftat. Auch wenn sicherzustellen ist, dass die Öffentlichkeit weiterhin Zugang zu einem archivierten Originaltext erhält, kann es in derartigen Fällen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen gebieten, dass insbesondere namensbezogene Recherchen hinreichend durch den Seitenbetreiber begrenzt werden, um einen entsprechenden Schutz des Betroffenen sicherzustellen.
Die vorstehend geschilderte Problematik ist eine der klassischen “Nebenwirkungen” der modernen Kommunikation. Zu berücksichtigen ist zwar, dass die Öffentlichkeit auch nach längeren Abläufen durchaus ein berechtigtes Interesse an Informationen haben kann. Nicht außer Acht gelassen werden darf jedoch auch, dass Personen – wie der eingangs genannte Gaststättenbetreiber – die Möglichkeit haben muss, sich fortzuentwickeln und Fehler hinter sich zu lassen, wie das Bundesverfassungsgericht auch in den zugrundeliegenden Fällen ausdrücklich betont hat.
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