Familienrecht
Auswirkungen einer Sorgerechtsentscheidung auf ein bisher praktiziertes Wechselmodell
Getrenntlebende Eltern können sich darauf verständigen, die Betreuung ihrer gemeinsamen Kinder in Form eines paritätischen Wechselmodells sicherzustellen. Die Kinder halten sich dann beispielsweise im wöchentlichen Wechsel bei der Mutter und beim Vater auf.
Schwierig ist bisweilen die Abgrenzung, ob das Praktizieren des Wechselmodells in den Bereich des § 1684 BGB fällt und damit den Umgang betrifft, da auch eine Umgangsregelung mit jeweils der Hälfte der Zeit beim Vater und der Mutter getroffen werden kann, oder ob hier wegen der Entscheidung der Eltern über den Lebensmittelpunkt der Kinder das Aufenthaltsbestimmungsrecht und damit das Sorgerecht betroffen ist.
Welche Auswirkungen die Zuordnung haben kann, zeigt folgender Fall, den das OLG Frankfurt am Main mit Beschluss vom 26.04.2022, Az. 1 UF 219/21 entschieden hat:
Die Beteiligten waren die Eltern einer 8-jährigen Tochter und übten das Sorgerecht gemeinsam aus. Nach der Trennung lebte die Tochter bei der Mutter. Weil das Jugendamt wegen des fortwährenden Konflikts der Eltern bei der Tochter einen starken Loyalitätskonflikt feststellte und darin eine Kindeswohlgefährdung sah, eröffnete das Amtsgericht Frankfurt im Jahr 2018 ein Kinderschutzverfahren gem. § 1666 BGB. In der mündlichen Verhandlung schlossen die Eltern eine formlose Vereinbarung, in der sie übereinkamen, das Kind paritätisch zu betreuen. Konkrete Umgangs- oder Sorgerechtsregelungen wurden nicht getroffen.
Drei Jahre später beantragte der Vater, ihm das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter zur alleinigen Ausübung zu übertragen. Nach der Begründung des Vaters sei das Wechselmodell als gescheitert anzusehen, da die Kommunikation der Eltern mit regelmäßigen Problemen verbunden sei. Die Tochter sei dadurch schwer belastet und es sei eine Störung in ihrer Entwicklung zu befürchten. Die Mutter stellte in diesem Verfahren ebenfalls einen Sorgerechtsantrag. Die persönlich angehörte Tochter äußerte den Wunsch, bei der Mutter leben und Umgang mit dem Vater haben zu wollen.
Das Amtsgericht übertrug der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung. Zur Begründung verwies es darauf, dass die Eltern hochstrittig seien, wodurch sich das Kind in einem Loyalitätskonflikt befinde. Der Teilbereich der elterlichen Sorge sei auf die Mutter zu übertragen, die das Wechselmodell nicht fortsetzen wolle. Dies entspräche auch dem vom Kind geäußerten Willen.
Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts legte der Vater Beschwerde zum OLG ein. Er war der Ansicht, dass die Vereinbarung zum Wechselmodell nicht durch eine Sorgerechtentscheidung in tatsächlicher Hinsicht aufgehoben werden könne.
Das OLG wies die Beschwerde des Vaters zurück. In seiner Begründung führte es aus, die formlose Vereinbarung der Eltern aus dem Jahr 2018, das Kind paritätisch zu betreuen, stehe der getroffenen Sorgerechtsentscheidung nicht entgegen. Zwar könne eine in einem Umgangsverfahren beschlossene oder mit familiengerichtlicher Genehmigung vereinbarte Regelung des Wechselmodells nur in einem Umgangsverfahren und nicht in einem Sorgerechtsverfahren abgeändert werden. Allerdings sei der Umgang des Vaters mit dem Kind vorliegend nicht familiengerichtlich geregelt, es sei im damaligen Verfahren nur eine formlose Vereinbarung getroffen worden. Ein Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes- wie im vorliegenden Fall- sei regelmäßig in einem Sorgerechtsverfahren auszutragen. Derjenige Elternteil, dem das Gericht das Sorgerecht überträgt, sei auch berechtigt, den Lebensmittelpunkt des Kindes (neu) zu bestimmen, auch wenn dadurch ein bisher im Rahmen der Elternautonomie vereinbartes Wechselmodell sein Ende findet.
Das OLG führte ferner aus, dass ein gemeinsames Sorgerecht ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraussetze. Eine Aufhebung der gemeinsamen Sorge sei regelmäßig geboten, wenn der Lebensmittelpunkt eines Kindes Gegenstand anhaltender elterlicher Auseinandersetzungen ist und davon auszugehen sei, dass die Eltern sich in dieser Frage auch in Zukunft nicht einigen können. Dabei hänge die Entscheidung, welchem Elternteil das Sorgerecht allein zu übertragen ist, vom Kindeswohl ab. Abzuwägen seien die maßgeblichen Kindeswohlgesichtspunkte wie Erziehungsfähigkeit, Bindungstoleranz, Bindung, Kontinuität, Kindeswille und Förderprinzip. Ausschlaggebend für das OLG war der vom Kind geäußerte Wille, da es hinsichtlich der weiteren Kindeswohlgesichtspunkte keine gravierenden Unterschiede bei den Eltern gab.
Die Entscheidung zeigt, dass die Eltern gut beraten gewesen wären, wenn sie im damaligen Verfahren gem. § 1666 BGB festgelegt hätten, dass das beschlossene Wechselmodell eine Umgangsregelung darstellt und diese familiengerichtlich gebilligt worden wäre. Nur in diesem Fall hätte die Kindesmutter, auch wenn ihr das Sorgerecht allein übertragen worden ist, nicht eigenmächtig entscheiden dürfen, dass das Wechselmodell nunmehr nicht mehr praktiziert wird.
Anträge in Kindschaftssachen sollten daher wohl überlegt und durchdacht beim Familiengericht eingereicht werden. Um böse Überraschungen zu vermeiden, ist dringend darauf zu achten, dass das Verfahren in die richtige Form gegossen wird. Bei so sensiblen Themen wie Umgang und Sorgerecht sind Fehler unverzeihlich. Fachanwaltliche Beratung und Begleitung ist daher unerlässlich.
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