Allgemein
Änderungen in der gesetzlichen Pflegeversicherung
Die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in unserem Land ist in den vergangenen Jahrzehnten erheblich gestiegen. Folge der demografischen Entwicklung ist konsequenterweise, dass immer mehr Menschen auf Pflegeleistungen angewiesen sind und auch zukünftig angewiesen sein werden. Während dies Ende des Jahres 2015 noch rund 2,7 Millionen Mitbürger betraf, wird sich die Zahl nach Schätzungen der Bundesregierung in den nächsten 15 Jahren auf rund 3,5 Million Menschen erhöhen.
Um die gesetzliche Pflegeversicherung den tatsächlichen Bedürfnissen der Pflegebedürftigen, aber auch der Angehörigen und der Pflegekräfte anzupassen, wurden mit dem sogenannten ersten Pflegestärkungsgesetz mit Wirkung zum 01.01.2015 sowie mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz mit Wirkung zum 01.01.2016 nicht unerhebliche Änderungen der gesetzlichen Pflegeversicherung beschlossen. Insbesondere das zweite Pflegestärkungsgesetz stellt eine weitreichende Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung dar, die sich ab dem Jahre 2017 im Alltag auch auswirken wird.
Wesentliche Grundlage ist die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes. Der Begriff der Pflegebedürftigkeit bezog sich bislang insbesondere auf rein körperliche Beeinträchtigungen. Pflegebedürftige Personen mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen – etwa an Demenz erkrankte – wurden bei Feststellung der Pflegebedürftigkeit nicht unerheblich benachteiligt. Grund hierfür ist, dass Personen mit derartigen Einschränkungen in vielen Fällen zwar körperlich kaum eingeschränkt sind, gleichwohl jedoch aufgrund der psychischen und kognitiven Beeinträchtigungen nicht in der Lage sind, ihren Alltag selbständig zu bewirken. In der Feststellung einer Pflegestufe hat sich dies häufig nicht niedergeschlagen. Gerade weil als Folge der demografischen Entwicklung die Zahl der Menschen mit derartigen Erkrankungen angestiegen ist, war eine Anpassung zwingend erforderlich. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff nimmt daher Abstand von der konkreten zeitlichen Erfassung bestimmter pflegerischer Maßnahmen. Angeknüpft wird vielmehr an die Beeinträchtigung der Selbständigkeit im Alltag und der Beeinträchtigung der individuellen Fähigkeiten in insgesamt sechs Bereichen. Hierzu gehören die Mobilität, also etwa die körperliche Beweglichkeit, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, wie etwa Angst- und Aggressionszustände, die Selbstversorgung, die Bewältigung und der selbständige Umgang mit krankheits- und terapiebedingten Anforderungen sowie die Gestaltung des Alltagslebens und der sozialen Kontakte.
Hieran anknüpfend werden die bisherigen drei Pflegestufen durch insgesamt fünf Pflegegrade ersetzt. Bei der Begutachtung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen wird daher künftig die Kernfrage sein, welche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der individuellen Fähigkeiten vorliegt, ohne das eine minutengenaue Erfassung des Pflegebedarfs, die letztlich den Betroffenen kaum gerecht wird, durchgeführt wird.
Den insgesamt fünf Pflegegraden sind wiederum Geldleistungsbeträge zugeordnet, die für die Erstattung der Betreuungs- und Entlastungsleistungen gezahlt werden können. So wird im Pflegegrad I ein Betrag in Höhe von 125,00 EUR gezahlt, im Pflegegrad II 316,00 EUR, im Pflegegrad III 545,00 EUR, im Pflegegrad IV 728,00 EUR und schließlich im Pflegegrad V 901,00 EUR.
Für Personen, bei denen schon zum jetzigen Zeitpunkt eine Pflegestufe festgestellt worden ist, stellt sich die Frage, ob sie sich von sich aus um eine Neueinstufung bemühen müssen. Dies wird jedoch nicht der Fall sein, da die Betroffenen automatisch in einen der neuen Pflegegrade übergeleitet werden und ein Antrag auf Neubegutachtung nicht gestellt werden muss. Bei Betroffenen mit körperlichen Einschränkungen findet hierbei eine Überleitung von der bisherigen Pflegestufe in den nächst höheren Pflegegrad statt. Personen, bei denen bisher eine Beeinträchtigung der Alltagskompetenz festgestellt wurde, werden dagegen in den übernächsten Pflegegrad überführt. Die entsprechende Mitteilung erfolgt hierbei durch die Pflegekasse. Weitere Besonderheiten ergeben sich für Pflegebedürftige in stationären Pflegeeinrichtungen. Erfolgte bislang mit der Einstufung in eine höheren Pflegestufe eine höhere Zahlung durch die Pflegesversicherung, stieg in der Regel zugleich der von dem Betroffenen zu tragende pflegebedingte Eigenanteil.
Auch hiervon wird im zweiten Pflegestärkungsgesetz Abstand genommen. Dieses sieht vor, dass in stationären Pflegeeinrichtungen ein einheitlicher pflegebedingter Eigenanteil für die Pflegegrade II – V zu zahlen ist, der von der jeweiligen Pflegeeinrichtung und der Pflegekasse bzw. dem Sozialhilfeträger ermittelt wird. Eine Steigerung des Eigenanteils soll nach der Neuregelung nicht mehr stattfinden, wenn eine Höherstufung in einen höheren Pflegegrad erfolgt.
Die genannten wesentlichen Änderungen bei dem Begriff der Pflegebedürftigkeit werden voraussichtlich dazu führen, dass ein weitaus größerer Personenkreis von den Leistungen der Pflegeversicherung profitieren wird, der bislang aufgrund der Beschränkung auf rein körperliche Beeinträchtigungen keine Möglichkeit hatte, Leistungen zu beziehen. Hiermit einher wird auch gehen, dass weitaus mehr pflegende Angehörige Ansprüche auf Leistungen, wie etwa auf Rentenversicherungsbeiträge für Zeiten der Pflege haben werden. Insgesamt erscheint die Änderung daher als begrüßenswerte Reaktion auf den durchgreifenden demografischen Wandel in unserer Gesellschaft. Wie sich die Änderungen in der Praxis bewähren, bleibt jedoch zunächst abzuwarten.
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