Allgemein, Verkehrsrecht
Aktuelles zum Thema Schmerzensgeld
Einen nicht unerheblichen Schwerpunkt der anwaltlichen Praxis bildet die Bearbeitung von Verkehrsunfallangelegenheiten. Geht ein Verkehrsunfall für den Betroffenen noch glimpflich aus, beschränkt sich die anwaltliche Tätigkeit in aller Regel auf die Geltendmachung der reinen Sachschäden, wie etwa der Reparaturkosten, der Nutzungsausfallentschädigung oder eines etwaig eingetretenen Minderwerts durch die Vorschädigung des Pkw. Zur anwaltlichen Praxis gehören jedoch leider auch die Fälle, in denen der Verkehrsunfall auch für den Betroffenen selber erhebliche Folgen hat. So kann es etwa, insbesondere nach Auffahrunfällen, zu Verletzungen, insbesondere Prellungen, im Bereich der Halswirbelsäule kommen, die langwierig, unangenehm und schmerzhaft sein können. Auch gravierendere Verletzungen, die den Geschädigten womöglich dauerhaft beeinträchtigen, kommen immer wieder vor. In diesen Fällen stellt sich für den Betroffenen die Frage, mit welchem Schmerzensgeld er letztlich rechnen kann. Das Thema Schmerzensgeld führt bei außergerichtlichen und gerichtlichen Auseinandersetzungen mit dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung immer wieder zu Kontroversen. Das Schmerzensgeld stellt letztlich einen Schadensersatzanspruch dar, der einen Ausgleich für einen sogenannten “Nichtvermögensschaden” gewährt. Dieser Anspruch entsteht immer dann, wenn ein Mensch durch eine Körperverletzung, eine Freiheitsentziehung oder eine andere immaterielle Schädigung beeinträchtigt wird. Die Höhe des gezahlten Schmerzensgeld ist oft genug für die Betroffenen letztlich nicht ganz nachvollziehbar.
Für die Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes ist Ausgangspunkt eine Entscheidung des großen Senates für Zivilsachen des Bundesgerichtshofes (BGH), die bereits aus dem Jahre 1955 stammt. Einzubeziehen in die Bemessung des Schmerzensgeldes sind danach alle im konkreten Einzelfall relevanten Kriterien im Wege einer Gesamtschau, insbesondere die Verletzung samt Dauerfolgen, das Alter des Betroffenen, der Heilungsverlauf sowie etwa die Dauer eines Krankenhausaufenthaltes, die Anzahl der Operationen, die Beeinträchtigung in der Freizeit oder auch entgangene Urlaubsfreuden.
Durch die Entschädigung soll der erlittene Schaden ausgeglichen und zugleich auch eine Genugtuung des Verletzten herbeigeführt werden.
Um letztlich eine willkürliche Bemessung des Schmerzensgeldes zu vermeiden, wird im Einzelfall maßgeblich zurückgegriffen auf die in einschlägigen Tabellenwerken veröffentlichten Entscheidungen deutscher Gerichte, denen entnommen werden kann, welche Schmerzensgelder bei den verschiedensten Schadensereignissen und Verletzungen bereits zugesprochen wurden.
Da jeder Fall letztlich anders gelagert ist, kann es allerdings eine absolute Vergleichbarkeit insoweit nicht geben. Das vorgenannte System ist insbesondere in der Rechtsprechung bislang jedoch kaum in Frage gestellt worden. Um so größere Aufmerksamkeit hat eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main vom 18.10.2018 (Akt.-Z. 22 U 97/16) erfahren, in welcher das Gericht von der bisherigen Praxis der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe völlig abweicht und eine neue Berechnungsgrundlage zugrundegelegt hat, die die Anspruchshöhe durchaus stark beeinflussen kann.
Das Gericht hielt es in der zitierten Entscheidung nicht für ausreichend, den konkreten Fall mit anderen gerichtlichen Entscheidungen zu vergleichen, da diese insoweit nur eine gewisse Orientierung geben könnten. Die bisherige Praxis – so das Gericht – lasse eine transparente Vorhersage, welchen Betrag ein Gericht zusprechen würde, insbesondere außergerichtlich nahezu unmöglich erscheinen. Auch die Tatsache, dass in der Praxis oftmals die zeitliche Dauer der Beeinträchtigung des Geschädigten unterschätzt werde, führe immer wieder zu einer unzulässig niedrigen Bemessung des Schmerzensgeldes.
Das Gericht folgt bei der Bemessung des Schmerzensgeldes vielmehr den Kriterien einer sogenannten “taggenauen Berechnung”. Zu berücksichtigen seien die verschiedenen Behandlungsstadien und Stufen der Schadensfolgen für den Verletzten. Das Gericht zieht als Grundlage für die Berechnung das vom Statistischen Bundesamt ermittelte Bruttodurchschnittseinkommen heran, welches in dem dem Urteil zugrundeliegenden Zeitraum 2.670,16 EUR pro Monat betrug. In einem ersten Schritt werden zur Berechnung schließlich Prozentsätze des Bruttodurchschnittseinkommens herangezogen, die sich – so das OLG – an den unterschiedlichen Behandlungsstadien zu orientieren haben. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall folgte einem stationären Krankenhausaufenthalt des Verletzten eine längere Arbeitsunfähigkeit. Für den stationären Krankenhausaufenthalt erachtete das Gericht einen Betrag in Höhe von 10 % des durchschnittlichen Bruttomonatseinkommens pro Behandlungstag für angemessen. Für die spätere Arbeitsunfähigkeit nach Entlassung aus dem Krankenhaus setzte das Gericht einen Betrag in Höhe von 7 % des durchschnittlichen Bruttomonatseinkommens ein.
In einem zweiten Schritt hat das Gericht die tatsächliche Beeinträchtigung des Verletzten berücksichtigt, um das Ausmaß der körperlichen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Verletzung zu ermitteln.
In einem dritten Schritt schließlich sieht das vom OLG Frankfurt herangezogene Modell eventuelle individuelle Zu- oder Abschläge aufgrund besonderer Umstände des konkreten Falles vor. Derartige besondere Umständen können nach Ansicht des Gerichts etwa in einer weiteren längerfristigen Beeinträchtigung des Verletzten gesehen werden.
Die durch das OLG vorgenommene Art der Berechnung kann daher im Vergleich zu der bisher zugrundegelegten Methode zu erheblichen Abweichungen bei der Bemessung eines Schmerzensgeldanspruches führen. Da das Gericht die Revision zum BGH nicht zugelassen hatte, bleibt abzuwarten, ob sich die hier zugrunde gelegte Methode der taggenauen Berechnung durchsetzen wird. Insbesondere in der juristischen Literatur ist die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main bereits auf erhebliche Kritik gestoßen, so dass die weitere Entwicklung abzuwarten bleibt.
Auch weiterhin kann Geschädigten daher nur angeraten werden, zur Sicherstellung und Bemessung ihrer Ansprüche anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen.
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