Erbrecht
Tücken des Pflichtteilsrechts
Kaum ein Rechtsgebiet tangiert den persönlichen Lebensbereich so sehr wie das Erbrecht. Was objektiv betrachtet nichts anderes ist als die Regelung der persönlichen und vermögensrechtlichen Folgen des Erbfalls, ist für den Einzelnen eine Konfrontation mit dem eigenen Tod und löst oft genug eine gewisse Abneigung aus, sich mit diesem Thema überhaupt zu beschäftigen. Selbst dann aber, wenn es nicht um besonders große Vermögen oder um die Regelung der Unternehmensnachfolge geht, gebietet es die Fürsorgepflicht für die Angehörigen, bereits zu Lebzeiten die eigenen Angelegenheiten zu regeln, um nachteilige Folgen für den Fall des Eintritts der gesetzlichen Erbfolge zu vermeiden. Die Gestaltungsmittel, die hierzu zur Verfügung stehen, sind die verschiedenen Formen der Testamente oder ein Erbvertrag. Bei der Nachlassgestaltung darf aber in keinem Fall ein Aspekt außer Betracht gelassen werden, nämlich der des Pflichtteilsrechts. Zwar wird das Erbrecht bestimmt durch die grundgesetzlich geschützte Testierfreiheit, also das Recht, den oder die Erben frei zu bestimmen und hierbei auch Angehörige, die ohne Testament oder Erbvertrag gesetzliche Erben werden würden, von der Erbfolge auszuschließen. Einem gesetzlich genau bestimmten Kreis naher Angehöriger wird jedoch durch die §§ 2303 ff. BGB in der Form des Pflichtteilsrechts eine finanzielle Mindestbeteiligung am Nachlass gesichert, sofern sie durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen sind. Hierzu gehören grundsätzlich die Abkömmlinge des Erblassers, etwa die Kinder und Enkelkinder, der Ehegatte und die Eltern des Erblassers. Für die Eltern kommt ein Pflichtteilsrecht nur dann in Betracht, wenn der Erblasser kinderlos verstirbt. Enkelkinder können dann ein Pflichtteilsrecht haben, wenn deren vom Erblasser abstammender Elternteil vorverstorben ist und kein anderer als Abkömmling einen Pflichtteil beanspruchen kann (vgl. § 2309 BGB). Der Höhe nach beläuft sich der Pflichtteilsanspruch auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und ist gerichtet auf Zahlungen in Geld; er führt also nicht zu einer unmittelbaren Beteiligung am Nachlass.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung der Höhe des Pflichtteils ist hierbei nach § 2311 BGB der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalles. Dieser zeitliche Anknüpfungspunkt wird häufig dazu genutzt, bereits zu Lebzeiten Regelungen zu treffen, die den Pflichtteilsanspruch der Höhe nach beschränken sollen. Ein in der Praxis häufig anzutreffendes Gestaltungsmittel stellt hierbei die unentgeltliche Übertragung von Vermögenswerten zu Lebzeiten dar. Ein Beispiel: Ein Ehemann überträgt unentgeltlich seinen Miteigentumsanteil an einem Grundstück auf seine Ehefrau mit dem Ziel, Pflichtteilsansprüche von Kindern aus erster Ehe zu beschränken.
In vielen Fällen werden jedoch bei der Beratung und der Gestaltung derartiger Regelungen Fehler gemacht, die dazu führen, dass das gewünschte Ergebnis gerade nicht erreicht wird. Anknüpfungspunkt hierfür ist folgendes: Neben dem Pflichtteilsanspruch kann dem Berechtigten auch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zustehen. Zum Schutz des Pflichtteilsberechtigten will der Gesetzgeber durch § 2325 BGB verhindern, dass der Erblasser den Anspruch durch die Vornahme von Schenkungen wohlmöglich völlig ins Leere laufen lassen könnte. Der Wert der Schenkung wird daher dem Nachlass zur Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs wieder hinzugerechnet. Zwar ordnet § 2325 Abs. 3 BGB eine sogenannte Abschmelzung an, die dazu führt, dass eine Schenkung nur noch im ersten Jahr vor dem Erbfall mit 100 % des Wertes berücksichtigt wird. Für jedes weitere Jahr vor dem Erbfall wird der Wert um weitere 10 % reduziert, bis die Schenkung schließlich nicht mehr berücksichtigt wird. Im Vertrauen hierauf haben viele Ehegatten unentgeltliche Übertragungen zu Lebzeiten vorgenommen, wie in dem oben genannten Beispiel dargestellt. Übersehen worden ist hierbei jedoch eine Regelung, die dazu führt, dass unabhängig von der verstrichenen Zeit die Schenkung mit ihrem vollen Wert angerechnet wird: Die vorgenannte 10-Jahres-Frist beginnt im Falle einer Schenkung an einen Ehegatten nämlich nicht vor der Auflösung der Ehe! Ein Beispiel: Hat ein Ehegatte 15 Jahre vor dem Erbfall seinen Miteigentumsanteil an einem Grundstück unentgeltlich an den anderen Ehegatten übertragen, so wird diese Schenkung im Zeitpunkt des Erbfalles noch in voller Höhe berücksichtigt, sofern die Ehegatten noch verheiratet waren.
Auch durch andere Arten der Vertragsgestaltung kann es letztendlich dazu kommen, dass das eigentliche Ziel, nämlich Pflichtteilsergänzungsansprüche auszuschließen oder zumindest zu reduzieren, nicht erreicht wird. Sofern Vermögensgegenstände – wie etwa ein Grundstück – unentgeltlich von einem Ehegatten auf den anderen übertragen wird, versucht der übertragene Ehegatte oftmals, sich für den Fall des Scheiterns der Ehe abzusichern. So werden Rückforderungsansprüche vorbehalten. Auch Wohnrechte oder ein Nießbrauchsrecht werden vereinbart und im Grundbuch eingetragen. Dies führt jedoch letztlich dazu, dass die 10-Jahres-Frist zur Abschmelzung des Wertes einer Schenkung ebenfalls nicht zu Laufen beginnt, da die vereinbarten Vorbehalte dazu führen, dass der Vermögensgegenstand nicht vorbehaltlos aus dem wirtschaftlichen Verfügungsbereich des Erblassers ausgegliedert worden ist.
Die 10-Jahres-Frist beginnt etwa bei der Bestellung eines Wohnrechts oder eines Nießbrauchs erst mit der Löschung dieser Rechte.
Bereits die vorstehend genannten Fehlerquellen zeigen, wie wichtig im Rahmen der Nachlassgestaltung eine eingehende Beratung sein kann. Auch dann, wenn derart nachteilige Regelungen bereits umgesetzt worden sind, sollten sich die Betroffenen fachkundig beraten lassen. Denn ggf. können noch Korrekturen – wie etwa die nachträgliche Umwandlung einer unentgeltlichen Übertragung in eine entgeltliche Übertragung – veranlasst und somit dem tatsächlichen letzten Willen Rechnung getragen werden.
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